Dienstag, 30. Januar 2018
Verloren und gefunden
Wir sind querfeldein im Wald unterwegs, es geht über Stock und
Stein. Eins der Kinder hängt nach. Was ist los? "Ich hab einen
Handschuh verloren."
"Den suchen wir nachher, auf dem Rückweg." Echt? Nein,
denke ich, wir sollten ihn sofort suchen bei soviel querfeldein.
Wer weiß, ob wir nachher noch so genau wissen, wo wir lang
sind. Und außerdem: Mit einem verlorenen Handschuh im
Hinterkopf lässt sich der Weg durch den Wald, den wir vorhaben,
doch nicht unbeschwert genießen. "Nein, wir suchen ihn sofort.
Wir laufen zurück bis zum Waldrand. Und dann gehen wir noch-
mal los."
Ich weiß um den Schwungverlust, wenn man umdreht und noch-
mal von vorne anfängt. Aber das Verlorene will gefunden sein.
Der Handschuh liegt allein irgendwo rum. Verlassen. Klar könnte
ich ihn liegen lassen, irgendwo im Gestrüpp. Aber ich fühle mich
angesprochen und gerufen. Von einem Kinderhandschuh?
Die Situation seh ich schon tiefgründig. Sofort im Wald. Und
auch jetzt im Nachdenken. Wir verlieren oft den anderen, den
Partner, Dich. Der Draht wird dünner, es trägt weniger und we-
niger. Es macht Sinn, den Weg dann anzuhalten, innezuhalten,
zurückzugehen. Den anderen suchen. Irgendwo im Beziehungs-
gestrüpp wird er schon zu fnden sein, wirst Du schon zu finden
sein.
Umschalten vom Weiterstürmen zum Nachschauen. Wo Du
bist, geblieben bist. Wieso bist Du nicht mehr da? Der Hand-
schuh war beim Rennen aus der Jackentasche gerutscht. Wenn
ich so nach vorn ausgerichtet bin, merke ich oft nicht, ob Du
auch mitkommst oder wegrutschst. "Bist Du noch da?" ist eine
gute Frage, die mmer wieder gestellt sein möchte.
Klar ist es lästig, im Vorwärtsgang anzuhalten und zurückzu-
schauen, zurückzulaufen. Ich merke, dass ich immer davon aus-
gehe, dass Du mitkommst auf meinem Weg. Das ist aber eben
nicht selbstverständlich, so wie ich das immer unbefragt setze.
Meine Beziehung zu Dir hat eben nicht den Automatismus, den
ich annehme. Sind wir noch im selben Land unterwegs?
Das Anhalten, Umdrehen, Ausschauhalten, Suchen und dann
auch Finden im Wald war gestern gelebte Metapher. Wir haben
alle gesucht was verloren war. "Ist doch nicht so schlimm, wenn
der Handschuh weg ist." Klar hab ich das gehört. Aber ich habe
in das Gesicht des Kindes geschaut und gesehen, was es zu sehen
gab: die kleine Betroffenheit und die kleine Betrübnis, den kleinen
Schmerz über einen verlorenen Handschuh. Und meinen großen
Schmerz.über den Verlust der Nähe, des einander Anvertrautseins,
eigentlich den Verlust der Liebe.
Ich weiß nicht, wann ich mit Dir in Verlust gerate, und wo und
wieso. Aber ich merke es dann auf einmal. Und kann mich an-
halten und Ausschau halten, suchen, nach Dir umdrehen. Und
Dich dann finden, im Gestrüpp unserer Beziehungswege.