"Das zivilgesellschaftliche Bündnis 'Unteilbar' und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben für den 15. Februar zu einer Großdemonstration in Erfurt aufgerufen" - lese ich im Internet. Da haben sie recht, irgendwie reicht es langsam.
Es ist sowieso grad so eine Weckzeit, da ist etliches zusammengekommen: Mord in Kassel, Schüsse in Halle, die vielen Gedenken an Auschwitz mit den Bildern des Grauens, Spiegelartikel mit Zeitzeugen, Radiointerviews mit Rabbinern, No-Go-Zonen aus Angst, Kippa verstecken, Nazi-Aufmarsch in Bielefeld für die Holocaust-Leugnerin Haverbeck, Vogelschiss und Schandespruch, Lehrerdenunziation in Hamburg, rechter Hass und Nazihetze im Netz, hier ein Hakenkreuz und da eins, und jetzt auch noch Erfurt und der Höckehandschlag. Also, es reicht!
Ich bin angefixt. Das darf doch alles nicht wahr sein! Ist es aber. Vorige Woche war ich in "Jojo Rabbit", dem subtilen Film über Adolf und Co, mit Galgenbildern auf dem Marktplatz und aufgehängter Mutter von Jojo. Das spielte vor langer Zeit - aber es gruselt ins Heute rüber.
Auf den Vorträgen komme ich immer auch auf die Würde der "Bösen" zu sprechen. Ja, die haben sie, egal, was sie anstellen. Es ist für die Eltern schwere Kost, wenn ich dann sage, dass auch ein Kindesmörder eine Würdekrone hat, auch der Massenmörder Hitler. Und natürlich auch all die Neonazis heute. Da stehe ich nicht über ihnen, nicht unter ihnen, sondern es gilt: jeder ist ein Ebenbild Gottes. Das ist das eine. Das andere ist, die Lebenswirklichkeit der eigenen Werte nicht untergehen zu lassen. Meine Werte in concreto zu leben und sie und mich im Alltag zu verteidigen, Handlungsebene. Mit den Mitteln, die dafür nötig sind.
Wobei ich natürlich erst freundlich bin, das Gespräch, die Einigung, den Kompromiss suche. Aber auch jenseits jeder Zimperlichkeit energisch und machtvoll bin, wenn das angesagt ist. Dem Kindesmörder nehme ich das Leben, bevor er mein Kind abschlachtet - ohne ihm die Würde zu nehmen. Adolf Hitler schieße ich in der Zeitreise mit Dynamit in die Luft - ohne ihm die Würde abzusprechen. Ich steh nicht über den Finsterlingen - ich stelle mich sehr wohl über die Finsterlinge. Kein Widerspruch, die Ebenen von Innerer Welt und Äußerer Welt sind auseinanderzuhalten - amicative Grammatik.
Was lässt sich also tun? Die Demo am 15. Februar ist eine gute Möglichkeit. Leider habe ich Oma-Betreuungsdienst und kann nicht hinfahren. Aber ich habe mir etwas überlegt, was ich tun kann: Ich will die Synagoge im Ort besuchen, einfach mal Guten Tag sagen. Solidarität, von Bürger-zu-Bürger, halte zu Euch, auf mich könnt Ihr zählen.
Ich bin zurückhaltend in der Politszene, Demonstrationen sind nicht so meine Sache. Kein Anti-Atom, kein Hambacher Forst, kein Fridays for Future. Alles gute Sachen, aber der Schritt zum Mitmachen fehlt mir. Doch jetzt reicht es. Wie immer: wer will ich sein? Meine Entscheidung. Ich muss mich da nicht bewegen, aber ich kann. Und ich werde.