Montag, 28. Oktober 2019
Danke, Albert
Wieviel will ich durchhalten, nicht aufgeben, noch nicht aufgeben? Wieviel Stehvermögen habe ich? Noch ein Versuch, noch mal in die Vollen, noch nicht beenden. Aber auch: Wenns genug ist, ists genug. Man kann nicht alles schaffen. Ich weiß von mir, dass ich sehr ausdauernd sein kann. Auch über die Maßen, wie ich das selbstspöttisch nenne.
Diese Ausdauerlichkeit liegt mir. Und sie hat mir immer mal wieder das gebracht, was eigentlich - d.h.mit normalem Menschenverstand - nicht zu schaffen war. Auf der anderen Seite habe ich auch immer wieder mal über die/meine Maßen durchgehalten, wo nichts mehr zu gewinnen war. Wie sich dann rausstellte. "Du reitest ein totes Pferd" und "Das Leben ist zu kurz, um hinter dem Unmöglichen endlos herzulaufen" und solche Kommentare. Aber das "Hättest doch noch länger versuchen können" und das "Wenn Du ihr die 1001ste Rose schenkst, kommt sie zu Dir" begleitet mich dann doch. Aber wenn ich es dann genug sein lasse, habe ich kein schlechtes Gefühl dabei. Denn es gibt in mir auf der anderen Seite auch ein energisches, mich selbst zur Ordnung rufendes "genug ist genug".
Ich kam drauf, weil ich über Albert Schweitzer nachgesonnen habe, ich las grade eine Biographie über ihn. Nun, ich habe von ihm eine wirklich starke Kraft zur Ausdauer gespürt, als er mir begegnete, als wir uns über den Weg liefen. Und das kam so:
Am meinem 12. Geburtstag wurden wir Quintaner wie alle anderen Schüler meines Gymnasiums in die Aula gerufen. Es war Oktober 1959, und Albert Schweitzer, 84, war auf Europareise. Er besuchte Freunde in Mülheim an der Ruhr, meiner Heimatstadt, und ein Kind seiner Freunde war auf unserem Gymnasium. Kurz und gut: unser Direktor schaffte es, dass Albert Schweitzer in unsere Schule kam, just an meinem Geburtstag, eine Rede hielt und die grade fertiggstellte neue Aulaorgel einweihte.
Ich saß wenige Meter von ihm entfernt, und viel wußte ich damals nicht von ihm. Ja, es gab die Stichworte Lambarene und Urwalddoktor, und die ganze Lehrerschaft war seltsam und unübersehbar respektvoll diesem alten Herrn gegenüber. Der zur Begrüßung in der ersten Reihe saß, dann vom Stehpult aus zu uns sprach, dann an uns vorbeiging zur Orgeltreppe, und dann seine Musik zu uns sandte. Nur, und das war es: Er hatte diese klare, von Herzen kommende Ausstrahlung: zu etwas zu stehen, zu sich zu stehen, zu dem eigenen Weg, das tun, was einem wichtig ist, sich davon nicht abbringen lassen. Eine grandiose Wucht. Von seiner Rede weiß ich nichts mehr, aber eben von seiner Botschaft. Sie hat mich damals erreicht. Und verstärkt, was auch in mir war: Durchhaltekraft und Glauben an sich selbst.
Natürlich macht das jeder mit sich aus, wieviel man durchhalten will und wann es genug ist. Und wieviel man an sich glaubt. Amication macht da keine Vorgabe, jeder ist wie stets sein eigener Chef. Aber im Zuge der Lektüre über Albert Schweitzer tauchte das alles auf, meine Erinnerung an ihn, an seine Botschaft, an seine machtvolle Würde. Er war, er ist ein großer Unterstützer meiner Unbeirrbarkeit und Durchhaltekraft. Es ist schön, dass das so passiert ist, dass ein Großer einem Kind über den Weg lief, dass ein Kind einem Großen über den Weg lief. Danke, Albert.