Beim Aufräumen lief mir dieser kleine Text für die Ankündigung eines Abendvortrags über den Weg:
"Amication geht davon aus, dass der Mensch vom ersten Augenblick seines Sein an ein vollwertiges, konstruktives, kreatives und soziales Wesen ist. Damit steht Amication im Gegensatz zu der pädagogisch-anthropologischen Hypothese, dass der Mensch erst durch Erziehung zu einem solchen Wesen gemacht werden muss."
Tja, dachte ich, da steht ja alles drin. Was aber so schwer zu vermitteln ist. Was sich den Eltern und den Fachleuten so schwer erschließt. Was aber für mich gilt, was etwas abgehoben gesagt "meine Wahrheit ist". Die ich ja nicht für mich behalten kann und nicht behalten will, sondern wo es mich drängt, davon zu erzählen und sie weiterzugeben. Diese Wahrheit war und ist die Basis für meinen Umgang mit allen Kindern, mit denen ich jemals zu tun hatte und haben werde, und auf dieser Basis sind meine Kinder groß geworden.
Dann habe ich einen kleinen Text aus meinem Bücherregal rausgesucht, der mir gleich einfiel, und den ich da gern nachlesen wollte. Diese Zeilen sind derart lebendig, dass sie mich seit Beginn der Öffentlichkeitsarbeit Anfang der 80er Jahre begleitet haben. Ich liebe dieses kleine Gespräch, diesen Einblick in das Herz einer jungen Mutter und eines jungen Vaters.
Die Zeilen, die es mir besonders angetan haben, haben einen Vorspann. Er führt zu der Aussage, die mir so wichtig geworden ist. Hier nun erst der Vorspann, wie ich das nenne. In einem Buch* schreiben Mütter über ihre Erfahrungen aus der Zeit nach der Geburt. Dorjee hat gerade ihr erstes Kind, Gina, bekommen. Sie schreibt:
Nach einigen Tagen verließ ich das Krankenhaus mit meinem kostbaren, winzigen Bündel in bunten Decken im Arm. Als eine hatte ich das Krankenhaus betreten, als zwei Menschen verließen wir es. Der frische, kühle April-Wind wehte mir um die Nase, ein neues Jahr, ein neues Leben.
Als ich das Kind dann zu Hause hatte, stellte sich heraus, dass unser telepathischer Kontakt sehr gut war.
Einmal
weinte sie ganz eigenartig, und ich dachte sofort: "Sie hat einen Käfer
im Strampelanzug!" Ich wollte diesen Gedanken zuerst nicht glauben, gab
ihr zu trinken, wiegt sie, sang ein Lied, dann wickelte ich sie, und da
war wirklich ein kleiner Käfer im Strampelanzug. Ich hatte die Wäsche
draußen zum Trocknen aufgehängt, da war er hineingeflogen.
Dadurch
hatte ich volles Vertrauen gewonnen in die telepathische Kommunikation
zwischen Mutter und Kind und ich habe mich die ersten Monate fast nur
darauf verlassen. Es hat immer gestimmt, was ich im ersten Augenlick
dachte. Jede Mutter hat das mit ihrem Kind. Die Kinder würden kaum
überleben, wenn es nicht so wäre.
Jetzt kommt meine Passage:
Einmal erdrückte mich der Gedanke der Verantwortung, die ich jetzt für das Kind habe, und ich litt unter der Vorstellung, das Kind jetzt erziehen zu müssen, ohne zu wissen, wie. Ich schaute ihr sorgenvoll in die Augen, da sagte sie plötzlich zu mir in meinem Herzen:
"Du musst mich nicht erziehen. Ich bin deine Schwester. Wir kommen vom gleichen Ort im Universum. Ich bin genauso alt wie du. Ich bin nicht dein Kind. Ich habe mir nur deinen Körper ausgeliehen, um hierher zu kommen, weil du ein wenig länger hierwarst als ich."
Und Gerard sagte: "Du musst sie nicht erziehen. Hauptsache, ich macht euch eine schöne Zeit zusammen.'"
*Samsara Amato-Duex, Bewußt fruchtbar sein, München 1983, S. 117