Dienstag, 18. April 2017

Amication leben, Michael


Den theoretischen Aussagen von der Amication begeg­nete ich anfangs mit Skepsis. Sie waren mir zu »gefährlich«, als dass ich mich vorbehaltlos darauf hätte einlassen können. Beeindruckend waren jedoch die Menschen. Sie gingen echt miteinander um. Sie waren betroffene und mitfühlende Zuhörer. In dieser Umgebung konnte ich mich auf mich selbst einlassen und die mit viel Energie gespielte Sicherheit aufgeben. Ich konnte Wut, Angst und Unsicherheit zulassen. Ich erlebte seit langem wieder, wie mich Weinen befreite.

Diese Begegnung änderte auch die Beziehung zu meiner Frau. Ich hatte zuvor meine wahren Bedürfnisse häufig unterdrückt, wenn sie mit ihren nicht übereinstimmten. Ich scheute die Auseinandersetzung, weil die vermeintliche Harmonie zwischen uns gestört werden konnte. Für ihr Glück fühlte ich mich verantwortlich. Solange sie sich wohl fühlte, so meinte ich, würde es auch mir gut gehen. Die Realität sah anders aus. Keiner von uns fühlte sich wirklich wohl, denn auch sie hatte sich ein ähnliches Muster im Umgang mit mir zurechtgelegt. Durch die Amication erkannte ich meine kindliche Rolle, die ich noch immer spielte, so wie ich früher den Ansprüchen der Erwachsenen entsprochen hatte, um geliebt zu werden.


Ich hatte das große Glück, dass auch meine Frau sich für diese neue Lebensart entschied. So konnten wir uns gemeinsam entwickeln. Heute begegnen wir uns mit viel mehr Offenheit und Verständnis. Wir sind einander näher als früher. Wir können uns unterstützen, wenn Kraft dazu vorhanden ist. Wir können uns auseinandersetzen. Ich lerne zu ertragen, dass es ihr schlecht gehen kann, ohne dass ich das auf mich beziehen muss. Ich lerne, für mich selber zu sorgen. Bis heute haben wir viele Rückfälle in alte Verhaltensmuster erlitten. In Zukunft wird das nicht viel anders sein. Das entmutigt mich nicht und rüttelt nicht an meinem positiven Selbstbild, das ich durch die Amication gewonnen habe.