Donnerstag, 20. April 2017
Amication leben, Elisabeth
Es fällt mir schwer, meine Erfahrungen mit Amication in Worte zu fassen, obwohl sich dadurch für mich sehr viel verändert hat. Die Veränderungen sind so subtil dass ich sie kaum jemand erklären kann, sie umfassen mein ganzes Wesen.
Anfangs wollte ich noch darüber sprechen, die Idee anderen Menschen erklären, sie überzeugen, sie begeistern. Ich werde stiller, ich lerne hinzuhorchen.
Die Erfahrung, die ich in den amicativen gruppendynamischen Wochenenden gemacht habe: »Ich bin es wert, dass andere Menschen mir zuhören, mir ihre Aufmerksamkeit schenken, meinen Schmerz, meine Tränen, meinen Zorn annehmen, einfach annehmen, ohne zu bewerten. ohne zu urteilen« – diese Erfahrung beginnt langsam in mir Wurzeln zu schlagen. Ein kleines Pflänzchen, das in mir Wärme und Glücksgefühl erzeugt.
Ich bin wert ... ich bin wichtig ... so wie ich bin, mit meinen hellen und mit meinen dunklen Seiten. Ich muss mich nicht anstrengen und anstrengen, um so zu werden, wie die anderen mich lieben können. Eine Aufgabe, die mich zerrissen hat, immer auf den anderen schauen, mein Verhalten richten nach jeder Geste, jedem Wort, immer auf dem Sprung ... und die Welt hat so viele andere!
Ich merke, während ich schreibe, dass wieder alte Gefühle des Schmerzes und des Zorns über Nicht-Genügenkönnen in mir aufsteigen und Hilflosigkeit und Trauer. Es ist ein Auf und Ab, Gefühle kommen und gehen, sie fließen durch mich hindurch und lassen mich ruhig und aufmerksam zurück. Ich kann hinschauen, hinhorchen auf mich und auf andere. Das Reden, Erklären, Überzeugen ist nicht mehr wichtig.
Ein weiterer wichtiger Impuls ist für mich der Gedanke »Ich bin für mich verantwortlich, jeder ist für sich verantwortlich, ich bin nicht für andere verantwortlich«.
Verantwortung war etwas, was mir schwer auf der Seele lag. Allein der Gedanke, dass ich nicht für andere verantwortlich bin, z.B. für meine Kinder, für meinen Partner, meine Freunde erleichterte mich sehr und gab mir neuen Bewegungsspielraum und Freude in meinen Beziehungen. Die Auseinandersetzung mit diesem Verantwortungsgefühl für andere dauert an, denn es ist anscheinend tief in mir verwurzelt. Ich mag andere Menschen und ich möchte, dass es ihnen gut geht, ich möchte helfen, dass es ihnen gut geht. Dabei ist es nicht immer einfach zu sehen, ob das, was für mich gut scheint, auch gut für den anderen ist.
Ganz wesentlich hat sich das Gefühl des Loslassens der Verantwortung auf meine berufliche Tätigkeit ausgewirkt. Ich arbeite mit körperlich, geistig und seelisch gestörten Kindern. Von der Ausbildung und meiner bisherigen beruflichen Erfahrung her war ich gewohnt, Verantwortung zu übernehmen: Der Therapeut weiß, was für das Kind gut und richtig ist. Ich stellte einen Therapieplan auf, hatte genaue Vorstellungen, was ich machen wollte, oder sollte sie haben, und es war für mich und das Kind oft sehr anstrengend.
Durch das neue Verständnis haben sich die Standpunkte verschoben, nicht mehr oben-unten, hier Therapeut – dort Kind, sondern gleichberechtigtes Miteinander-Arbeiten. Dadurch ist die Arbeit für mich viel schöner und unbelastender geworden. Das Gefühl »Ich kann die Verantwortung für seine Entwicklung beim Kind lassen« gibt mir die Möglichkeit, offen zu sein für alles, was vom Kind kommt. Ich bin ruhig und aufmerksam. Da ich nicht damit beschäftigt bin, mir zu überlegen, was ich jetzt mit dem Kind tun müsste, bin ich in Lage, auf die momentanen Bedürfnisse des Kindes zu reagieren, es da zu unterstützen, wo es meine Hilfe braucht.