Montag, 1. März 2021

Ich muss - gar nichts!



 "Ich muss gar nichts!". Ich bin grad aufgestanden, berappel mich im Badezimmer, das Fenster ist offen. Mit halbem Ohr höre ich die Nachbarskinder draußen, drei sind's, 4 bis 6 Jahre. Dann bin ich auf einmal hellwach: "Ich muss gar nichts!" - laute, klare Botschaft der Fünfjährigen.

Ihre Stimme verlässt ihr Spiel und kommt zu mir. Ja glaub ich's? Wie sehr bei sich ist denn dieses Kind? Welch abenteuerliches Statement, welch bombastische Würde, welche überzeugte Gewichtigkeit. Ich bin fasziniert und angerührt. Ich wasche mein Gesicht mit Kaltwasser, bin erfrischt und staune über die Welt. Diese Kinderwelt. Diesen jungen Menschen.

Und lege etwas nach. Ich muss ja wirklich gar nichts. Wenn man den Sinn dieses Würdestatements nicht konterkariert. Gleich zum Extrem: Muss ich sterben? Das passt nicht. Dem Tod kann ich nicht ausweichen, er ist eine Selbstverständlichkeit, die ohne Müssen daherkommt. "Ich bin", sagt er, nicht "Du musst". "Ja", werde ich dann sagen und ihm folgen. Nicht weil ich müsste: Ich muss gar nichts.

Natürlich tue ich immer wieder Dinge, die ich eigentlich nicht tun will. "Eigentlich". Ich tue sie aber, schon klar: nicht weil ich müsste, sondern weil ich will, letztlich. Nichts geht ohne mich.

Und wenn mich jemand zwingt? 1001 Beispiele sind sofort da. Trotzdem: Ich muss nichts, müssen passt hier nicht. Wenn es gegen meinen Willen geht, dann werde ich halt gezwungen. Aber ich muss das nicht tun, was da gefordert wird. Es ist beim Gezwungenwerden keine Ich-Aktion, sondern eine Du-Aktion, Zwing-Aktion. Wie auch immer.

Wenn ich also nicht sterben MUSS, nicht rechts ranfahren MUSS, nicht Ballwerfen MUSS. Dann fühlt sich das nach herrlichem Wintermorgen an, Kaltwasserlächeln, Würdekrone. Welch Geschenk heute morgen!