"Ich muss gar
nichts!". Ich bin grad aufgestanden, berappel mich im
Badezimmer, das Fenster ist offen. Mit halbem Ohr höre ich die
Nachbarskinder draußen, drei sind's, 4 bis 6 Jahre. Dann bin ich auf
einmal hellwach: "Ich muss gar nichts!" - laute, klare Botschaft
der Fünfjährigen.
Ihre Stimme verlässt ihr Spiel und kommt
zu mir. Ja glaub ich's? Wie sehr bei sich ist denn dieses Kind? Welch
abenteuerliches Statement, welch bombastische Würde, welche
überzeugte Gewichtigkeit. Ich bin fasziniert und angerührt. Ich
wasche mein Gesicht mit Kaltwasser, bin erfrischt und staune über
die Welt. Diese Kinderwelt. Diesen jungen Menschen.
Und lege
etwas nach. Ich muss ja wirklich gar nichts. Wenn man den Sinn dieses
Würdestatements nicht konterkariert. Gleich zum Extrem: Muss ich
sterben? Das passt nicht. Dem Tod kann ich nicht ausweichen, er ist
eine Selbstverständlichkeit, die ohne Müssen daherkommt. "Ich
bin", sagt er, nicht "Du musst". "Ja", werde
ich dann sagen und ihm folgen. Nicht weil ich müsste: Ich muss gar
nichts.
Natürlich tue ich immer wieder Dinge, die ich
eigentlich nicht tun will. "Eigentlich". Ich tue sie aber,
schon klar: nicht weil ich müsste, sondern weil ich will, letztlich.
Nichts geht ohne mich.
Und wenn mich jemand zwingt? 1001
Beispiele sind sofort da. Trotzdem: Ich muss nichts, müssen passt
hier nicht. Wenn es gegen meinen Willen geht, dann werde ich halt
gezwungen. Aber ich muss das nicht tun, was da gefordert wird. Es ist
beim Gezwungenwerden keine Ich-Aktion, sondern eine Du-Aktion,
Zwing-Aktion. Wie auch immer.
Wenn ich also nicht sterben
MUSS, nicht rechts ranfahren MUSS, nicht Ballwerfen MUSS. Dann fühlt
sich das nach herrlichem Wintermorgen an, Kaltwasserlächeln,
Würdekrone. Welch Geschenk heute morgen!