Mittwoch, 13. Dezember 2017

Kunst






















Wir sind im Wald. Klara (6) und Kolja (4) legen gelbe Blätter
auf dem Waldboden zu Linien und Kreisen, sie malen mit den
Herbstblättern. Es sieht nicht nach Natur aus sondern nach Kul-
tur. Nach Kunst. Kunst im Wald.

Die Kinder spielen. Ist Kunst Spielen, verspielt? Ich habe immer
mitbekommen, dass Kunst mit einem hohen Anspruch daher-
kommt. Picasso, Rembrandt, Beethoven, Mozart - das ist Hoch-
kultur, Kunst. Die Wasserfarbenbilder der Kinder, das Graffiti
an der Mülltonne: das ist keine Kunst.

Wie relativ darf es sein in der Kunst? Wann kommt der Kitsch
um die Ecke? Wann der Unsinn? Woran läßt sich erkennen, ob
es Kunst ist oder nicht? An den Unis wird Kunst gelehrt, es
gibt Kunstschmiede und Kunsthandwerk, Kunsthonig und
Kunstseide. Es gibt Künstler und gekünstelte Sprache, Kunst-
auktionen und Kunstfälscher. "Ist doch keine Kunst" und
"Jeder Mensch ist ein Künstler".

Was soll ich davon halten? Von dem ganzen Tamtam, der
um die Kunst gemacht wird? Es nervt mich, wenn irgendein
objektiver Anspruch im Spiel ist, sowieso, aber auch bei der
Kunst. Im Kunstunterricht in der Schule bekam ich für ein
Bild nur eine Drei, und dabei fand ich mein Bild super und
voller Ideen. Spinnt er, der Kunstlehrer? Sein Sohn war in
meiner Klasse und bekam für alles, was er ablieferte, eine
Eins, immer! Da ging ich auf Distanz zur Kunst.

Das war doch alles eine absurde abgekartete Sache, irgend-
welche Schriftgelehrte legten fest, was Kunst ist und was
es eben nicht ist. Kirchenfenster, documenta, Mona Lisa:
Ja was denn nun? Kunst ist offensichtlich Kunst. Da weiß
man Bescheid, und die Herren und Damen Künstler sowie-
so.

Echt jetzt, da soll er doch malen. Oder dichten. Oder kom-
ponieren, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Als sein
eigener Meister. Und dann kann er mir zeigen oder vorfüh-
ren, was Sache ist. Gefällt mir, oder nicht. Und fertig. Was
soll das Gelaber von "Kunst" dabei?

Ich finde das seltsam übergriffig, wenn jemand seine ge-
bastelten Dinge als Kunst rüberbringt. Mit einem hohen
Anspruch versieht. Wenn sie in Altamira ihre Tierchen
an die Wand bringen: Ist ihr gutes Recht, sind ihre Erin-
nerungen, Visionen, Botschaften. Das kann ich respek-
tieren, so wie ich den Menschen respektiere und achte,
der damit unterwegs war. Aber in Ehrfurcht erstarren?
Da macht jemand sein Ding. Gefällt mir, Beifall klat-
schen und staunen. Oder gefällt mir eben nicht.

Wie immer bin ich auch in Sachen Kunst mein eigener
Chef und lass mich nicht ins Boxhorn jagen. Es ist in der
Kunst so wie sonst auch: Entweder spielt sich das alles
in einem Oben-Unten-Raum ab mit objektiven Maßstä-
ben. Oder es bleibt in der postmodernen Welt, in der
nichts über dem anderen steht und alles gleichwertig ist.
Mit subjektiven Vorlieben und Unlieben.

Klar ist der eine geschickter mit der Hand und dem Kopf
als der andere. Und wenn es mir gefällt, hör ich gern zu
und seh ich gern zu und ess ich gern zu. Ich mag klas-
sische Musik, impressionistische Bilder, Blätter auf dem
Waldboden. "Spiel mit mir" sagen die Töne, die Farben,
die Blätter. Es ist ein leichtes und heiteres Geschehen.
"Mach mit" rufe ich der Kunst zu, und sie atmet durch
und läuft erleichtert auf mich zu. "Endlich" antwortet sie.
 "Na klar doch", sage ich, "und was machen wir heute?"