Schoolwatch
3. Teil einer dreiteiligen Serie.*
Teil 3: Der Brief
Doch meistens werden die Eltern von Schoolwatch das Kind nicht kennen. Und so ist es auch in diesem Fall. Niemand weiß, wie ein Telefonat von fremden Eltern bei Jana (und ihren Eltern) ankommen wird. Dasselbe würde für einen Besuch gelten, der anstelle eines Anrufs auch immer in Erwägung gezogen wird.
Doch neben der Möglichkeit, Jana anzurufen oder sie zu besuchen, gibt es ja den Schoolwatch-Brief. Es wird ein Gruß verschickt, ein paar Zeilen, die deutlich machen, dass Jana nicht allein steht und dass es Menschen gibt, die zu ihr halten und die aussprechen, dass das, was passiert ist, Unrecht war.
Ein Anruf oder ein Besuch kommen nur dann in Betracht, wenn das Kind und seine Eltern der Schoolwatch-Gruppe bekannt sind. Dies ist schon Einmischung in persönliche Angelegenheiten genug. Mit einem Brief aber von den unbekannten Eltern der Initiative stellt sich die Frage nach der Einmischung eindringlich: Wie wird der Brief ankommen?
Was sind die Risiken und Chancen? Wusste Jana überhaupt etwas von dem Anruf ihrer Freundin bei Schoolwatch? Und wenn sie es wusste, war sie damit einverstanden? Wird Jana den Brief als Anmaßung und Bloßstellung zurückweisen und sich obendrein noch vorgeführt vorkommen? Oder erlebt Jana den Brief als Überraschung, die ihr hilft? Hat sie ihn erwartet, herbeigewünscht, und freut sie sich über dieses Symbol von Zuwendung und Trost?
Die Eltern der Initiative haben eine entschiedene, spezifische Grundposition: Sie sehen die Gleichwertigkeit des Erwachsenen und des Kindes. Sie wissen darum, dass personale Begegnungen auf einer gleichwertigen Basis stets die Chance des Gelingens und das Risiko des Scheiterns enthalten. Sie haben keine pädagogische Absicht bei ihrer Aktion. Sie bieten ihre Hilfe und ihren Trost an, weil sie nicht tatenlos zusehen können, wenn vor ihren Augen Leid geschieht.
Und sie wissen darum, dass ihre Intervention sowohl das Leid verringern als auch vergrößern kann. Sie haben sich diesem Dilemma gestellt und sich nach reiflichem Überlegen dafür entschieden, auf jeden Fall einen Versuch zu machen: Auf den gedemütigten Menschen zuzugehen. Hierzu fühlen sie sich um ihrer selbst willen verpflichtet, und es entspricht ihrer Vorstellung von Mitmenschlichkeit.
Der Schoolwatch-Brief wird also
von Frau Burger geschrieben und verschickt:
Liebe Jana,
wir haben gehört, dass Dich Herr
Meier ausgelacht
hat. Wir finden das nicht
richtig. Jeder kann mal eine
Antwort nicht
wissen, auch in Mathe. Es tut uns leid,
was Dir
da passiert ist. Ruf uns an, wenn Du willst.
Wir stehen auf Deiner Seite.
Herzliche
Grüße!
Reinhilde Burger von Schoolwatch
Wenn Jana den Schoolwatch-Brief ablehnt, wird ihr Leid vergrößert. Wenn sie jedoch einschwingt, kann sich ihre Belastung verringern. Bei diesem ersten Brief im Jahr 2000 waren sich alle Eltern der Initiative dieses Risikos bewusst. Würde ihr Brief helfen? Nun, Jana hatte sich gefreut, den Brief ihrer Freundin gezeigt und Frau Burger am nächsten Tag angerufen.
Die erste Intervention von Schoolwatch im September 2000 war ein Erfolg – und zigtausende solcher gelungenen Einmischungen sind seitdem geschehen. Die Briefe, Anrufe und Besuche von Schoolwatch sind eine feste Komponente im Schulleben geworden, von den Kindern heiß herbeigewünscht und immer voller Trost und heilender Wirkung.
Die Anfangsschwierigkeiten sind heute längst überwunden, Schoolwatch ist renommiert und hat sich zu einer wirksamen Kraft gegen das Schulleıd entwickelt. Und auch immer mehr Lehrer akzeptieren Schoolwatch – das Konzept von Schoolwatch, den Lehrern die Wahrheit der Kinder ohne Herabsetzung und Anschuldigung nahezubringen, ist aufgegangen.
* Aus meinem Buch „Schule mit menschlichem Antlitz“, Münster 2001, S. 53ff.