Schoolwatch
2. Teil einer dreiteiligen Serie.*
Teil 2: Der Anruf
Die Eltern wissen, dass sie nicht im Konsens mit der Schule und der Lehrerschaft sein werden, sondern dass man sie als Ärgernis, ja als Bedrohung auffasst. Doch sie sind von der Wichtigkeit ihres Vorhabens überzeugt und lassen sich nicht aufhalten. Sie wollen von außen in die Schule wirken, denn nur darin sehen sie die Effektivität ihres Engagements gewährleistet, ihre Unabhängigkeit gewahrt, und nur so erwarten sie eine Akzeptanz ihrer Tätigkeit durch die Kinder.
Und wenn sie auch von außen kommen, so fühlen sie sich doch sehr wohl als Betroffene und der Schulgemeinde zugehörig. Sie sind dabei, eine anders orientierte Aufgabe für das Wohl der Kinder zu übernehmen, als dies jede Schultradition bislang vorsah.
Das alles ist für diese wie für jede andere Schule völlig neu, die Lehrer wehren sich heftig gegen eine Kontrolle durch Eltern. Immer wieder werden die Eltern aufgefordert, die schulischen Gremien einzuschalten, wenn sie Wünsche hätten. Und auch die Drohung der Schulverwaltung, man werde die Gerichte einschalten, um die Störung des Schulfriedens zu unterbinden, schreckt sie nicht.
Sie wollen etwas tun, sind entschlossen, risikobereit, lassen sich rechtlich beraten und wollen es darauf ankommen lassen. Und sie erfahren auch Unterstützung von anderen Eltern, auch von anderen Schulen und Städten und von Fachleuten.
Ein halbes Jahr nach dem ersten Treffen steht ihre Initiative. „Schoolwatch Einstein-Gymnasium Neustadt“ ist ein eingetragener Verein, mit Satzung, Mitgliedern und Vorstand. Sie haben ein kleines Budget, und die Gemeinnützigkeit ist beantragt. Die Eltern haben sich in einen Dienstplan eingeteilt, für den Rest des Jahres ist bereits klar, wer an welchem Tag für die Kinder als Ansprech- und Anrufpartner da ist. Im neuen Schuljahr nach den Sommerferien sind sie startbereit.
Und dann kommt eines Nachmittags der erste Anruf: „Herr Meier hat die Jana aus der 6a ausgelacht, als sie eine Antwort in Mathe nicht wusste. Jana hat den Rest der Stunde auf ihrem Platz gesessen und geweint.“
Herr Meier wird von Frau Burger, der diensthabenden Mutter, angerufen. Ihr Anruf hat nicht das Ziel, ihm Vorhaltungen zu machen oder ihn bloßzustellen. Der Anruf soll möglich machen, dass der Lehrer das Vorgefallene mit den Augen des Kindes gezeigt bekommt, dass er hört, wie sein Verhalten bei Jana angekommen ist und gewirkt hat, und dass sein Auslachen aus der Sicht des Kindes und der Eltern von Schoolwatch eine unakzeptable Grenzüberschreitung war.
Es wird kein Vorwurf erhoben und es erfolgt keine Schuldzuweisung. Hierüber wurde bei den konzeptionellen Beratungen lange diskutiert und klar Position bezogen: Auch die Würde eines Lehrers wird geachtet, was immer er tut und was immer gegen sein Verhalten vorgebracht werden kann. Ohne einen Vorwurf zu erheben wird dieser Lehrer aber damit konfrontiert, der Realität – wie sie das Kind erlebt hat – ungeschminkt ins Gesicht zu sehen, und die erlittene Demütigung wird Demütigung und Unrecht genannt.
Frau Burger bittet nicht darum, dass Herr Meier sich entschuldigt – so etwas zu erwägen ist ganz und gar seine Sache. Sie überlässt es ihm, ob er am nächsten Tag überhaupt etwas zu Jana sagen will, und was das sein könnte. Ihre einzige Aufgabe im Gespräch mit dem Lehrer ist es, ihn das Vorgefallene mit den Augen des Kindes sehen zu lassen.
Und da Herr Meier sich nicht beschimpft und nicht unter Druck gesetzt fühlt, kann er sich für die höflichen, aber sehr wohl eindringlichen Worte der Mutter öffnen und sein Verhalten mit Janas Augen sehen. Wenn er erklärt, dass er das morgen in Ordnung bringt, und am nächsten Tag auf das Kind zugeht, etwas Freundliches sagt und hinzufügt, dass es ihm leid tut, dann steht der Heilung der seelischen Verletzung von Jana nichts mehr im Wege.
Aber wenn Herr Meier das alles weit von sich weist und das Gespräch in Unfrieden endet?
Nun, der Anruf bei Herrn Meier ist nur der eine Teil der Schoolwatch-Aktion. Es soll ja auch Jana angerufen werden – in jedem Fall und unabhängig davon, wie der Lehrer reagiert. Wenn die Eltern der Initiative Jana und ihre Eltern kennen und wissen, dass so ein Anruf nicht zusätzlich belastend wirkt, wird dieses Gespräch geführt. Trost und Mitgefühl sollen ausgesprochen werden, und Janas Belastung kann sich vielleicht in einem erleichterten Lachen lösen.
Teil 3 im nächsten Post.
* Aus meinem Buch „Schule
mit menschlichem Antlitz“, Münster 2001, S. 50 ff.