Schoolwatch
1. Teil einer dreiteiligen Serie.*
Teil 1: Das Konzept
Im Jahr 2030 gibt es an
vielen Schulen Elterninitiativen, die „Schoolwatch“ heißen. Die
Eltern dieser Initiativen haben sich zusammengefunden, um gemeinsam
etwas gegen das Schulleid ihrer Kinder und die Schultraumatisierung
zu tun.
Die Schoolwatch-Idee hat sich herumgesprochen, die
Medien haben darüber berichtet, in Fachzeitschriften wurden Artikel
geschrieben, an den Hochschulen gibt es hierüber Seminare, kurz: aus
einer Idee ist eine Bewegung geworden. Es gibt inzwischen
Schoolwatch-Landesverbände und den Schoolwatch-Bundesverband und
auch im Ausland existieren seit einiger Zeit Schoolwatch-Initiativen.
Alle Lehrer kennen
Schoolwatch, sie werden bereits in ihrer Ausbildung damit befasst,
und die meisten Eltern wissen, dass es so etwas wie Schoolwatch gibt,
und viele engagieren sich darin. Und selbstverständlich weiß auch
jedes Schulkind von Schoolwatch.
Der Einfluss, der von einer
Schoolwatch-Initiative vor Ort auf das Geschehen einer Schule
ausgeht, ist unterschiedlich groß und hängt von den jeweiligen
Gegebenheiten ab. Oft wird die Arbeit von Schoolwatch von den Lehrern
eines Kollegiums abgelehnt, aber es gibt auch immer wieder Zustimmung
und Kooperation. Nichts ist mehr so, wie es einmal war – als es
Schoolwatch noch nicht gab.
Allen Lehrern ist
bewusst, dass sie durch diese Elterninitiativen unter Beobachtung
stehen, ob sie es wollen oder nicht. Und auch die Kinder wissen
darum, dass Ungerechtigkeiten und Demütigungen im Klassenzimmer
nicht mehr als Selbstverständlichkeit des Schulalltags hingenommen
werden müssen.
Angefangen hatte alles am 29. Januar 2000 –
als eine Mutter in einer kleinen Stadt in Deutschland eine besonders
drastische Herabsetzung ihres Kindes durch einen Lehrer nicht auf
sich beruhen lassen will. Nachdem ein Gespräch mit dem Lehrer und
dem Schulleiter nichts bewirkt, bringen die Eltern den Vorfall im
Freundeskreis zur Sprache, und man ist sich einig, dass etwas getan
werden muss.
Die Freunde treffen sich
wiederholt, sie diskutieren, machen Vorschläge und verwerfen sie
wieder, aber sie sind entschlossen, etwas in Gang zu setzen. Sie
entwerfen ein Konzept und gründen eine Initiative gegen die
Traumatisierung durch schulische Demütigungen.
Sie überlegen
lange, welcher Name für ihre Initiative passt, er soll prägnant und
aussagefähig sein. Diskutiert werden „Eltern vor Ort“ und
„Aktion Schule ohne Angst“ und „Verein zur Förderung von
Kinderfreundlichkeit an der Schule“ und andere Namen. Letztlich
entscheiden sie sich für einen Begriff, der von den Kindern, die sie
um Rat gefragt haben, bevorzugt wird – denn sie wollen vor allem
die Akzeptanz ihrer Initiative durch die Kinder.
Sie nennen sich also
„Schoolwatch“, in durchaus gewollter Anlehnung an das renommierte
Worldwatch Institute und an Human Rights Watch. Und sie tragen ihre
Idee in die Elternabende und werben um Mitstreiter.
Die Eltern
erleben vielfältige Widerstände von allen Seiten (die
Schultraumatisierung sitzt bei den Menschen tief und fest). Sie
bekommen zu hören, dass sie den Schulfrieden stören, dass ihre
Arbeit destruktiv sei, dass ein „gläsernes Klassenzimmer“ die
Persönlichkeitsrechte des Lehrers missachte.
Viele Eltern stimmen in
den Chor der Kritik ein, befürchten, dass durch diese Ideen das
effektive Arbeiten in der Schule behindert wird und sehen den
schulischen Erfolg ihrer Kinder gefährdet. Die Eltern der Initiative
werden von vielen geschnitten und angefeindet. Aber sie lassen sich
nicht beirren. Sie machen sich weiter bekannt und verteilen ihr
inzwischen ausformuliertes Schoolwatch-Konzept.
In ihrem
Konzept stellen sich die Eltern als eine Gruppe von Menschen vor, die
das Leid der Schulkinder auffangen wollen, das durch persönliche
Herabsetzung entsteht. Sie setzen sich außerdem zum Ziel, durch
Präsenz, zunehmendes Gewicht und Öffentlichkeitsarbeit einen
Bewusstseinswandel anzustoßen, so dass Demütigungen im Schulalltag
weniger werden. Sie verstehen sich als eine parteiergreifende
Instanz, die über die Unantastbarkeit der Würde der Schulkinder
wacht.
Die Eltern bieten sich
in konkreten Situationen – wenn ein Lehrer ein Kind herabsetzt –
als Anlaufstelle an. Sie wollen dann zum einen mit dem betreffenden
Lehrer ins Gespräch kommen und ihm das Geschehene aus der Sicht des
Kindes zeigen. Zum anderen wollen sie dem gedemütigten Kind durch
einen Anruf, Besuch oder Brief - den „Schoolwatch-Brief “–
beistehen, Trost zusprechen und das Ich des Kindes stützen.
Teil 2 folgt im nächsten Post.
* Aus meinem Buch „Schule
mit menschlichem Antlitz“, Münster 2001, S. 48 ff.