Als ich vor einigen Jahren gefragt wurde, ob ich für kurze Zeit die Leitung einer Freien Schule übernehmen könnte, habe ich zugesagt und war ein halbes Jahr lang Schulleiter. Die Schule hatte sich nach riesigem Ärger mit dem bisherigen Schulleiter, dem schließlich gekündigt wurde, auf eine kollektive Schulleitung durch die Lehrerinnen und Lehrer verständigt. Aber sie brauchten einen offiziellen Schulleiter für die Behörde. Der Elternverein fragte mich an, und ich wusste, worauf es ankam:
Der neue Schulleiter, also ich, durfte die Eigenverantwortung der Lehrerinnen und Lehrer, die ja die Leitung ihrer Schule gemeinsam übernehmen und managen wollten, nicht beeinträchtigen, nicht gefährden. Auch nicht subtil gefährden. Ich durfte also gar kein Schulleiter sein, obwohl ich Schuleiter war. Wie das ging?
Ich war nicht vor Ort, nicht real präsent. Die Kommunikation lief über den Elternverein, keine Lehrerin und kein Lehrer kannte mich. Niemand wusste, wer ich war und wie ich aussah. Und ich tat keinen einzigen Schritt in diese Schule: denn allein meine Präsenz, und wenn es auch nur eine Stunde in der Woche wäre, hätte das Bewusstsein der Lehrenden, kollektiv die Schule zu leiten, beeinflusst und ihre Eigenverantwortlichkeit zum Einsturz gebacht. Denn: ein Leiter ist ein Leiter ist ein Leiter. Also blieb ich brav zu Hause, auch wenn meine Papiere bei der Behörde vorgelegt waren. Was formal unproblematisch war, weil die Satzung der Schule eine kollektive Schulleitung vorsah. Mit formalem Leiter.
Das klappte sehr gut, die Schule funktionierte super. Eines Tages dann luden mich die Lehrerinnen und Lehrer zum Kennenlernen bei Kaffee und Kuchen ein. Sie waren neugierig auf mich geworden und wollten mich kennenlernen. Ich bestand auf neutralem Boden (kein Schritt in die Schule!), wir trafen uns in einem Versammlungsraum eines Restaurants. Da sahen wir uns dann zum ersten mal - und sie hielten schon die Luft an, als ich dann leibhaftig vor ihnen stand!
Aber sie merkten schnell, dass ich sie wirklich nicht, auch nicht heimlich und subtil, als "Untergebene" eines Schulleiters sah. Obwohl ich ja der Schulleiter war! Es war ein bisschen Zauberei, Wu Wei - Tun ohne Tun. Und nach einiger Zeit konnte ich mich dann zurückziehen, die Lehrerinnen und Lehrer wählten aus ihren Reihen einen neuen formalen Schulleiter.
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Die Situation erinnerte mich an den Garanten des Selbst-VerantwortungsTrainings, von dem ich in den letzten Posts berichtet habe. Garant: auch so eine Funktion, die nicht leicht zu verstehen ist. Und die - besonders schwierig - gänzlich ohne Leitersein daherkommt. Dazu mehr beim nächsten Post!