Montag, 8. Mai 2023

"Ich bin lieb." - Garant/Garantin

 

 

Auf meinen  Vorträgen erzähle ich von der Souveränität der Kinder. Ich bin mir ihrer Souveränität sicher, habe sie vor Augen, bin dafür offen. Beim Einkaufen vorgestern warte ich vor der Kasse, eine Mutter ist mit ihrer dreijährigen Tochter hinter mir. Das Mädchen wuselt herum, ist lebhaft. Die Mutter, leicht angenervt: "Sei lieb!". So weit, so bekannt.

Jetzt aber, das Kind, mit selbstverständlcher Würde, nachdrücklich, unaufgeregt, klar und deutlich, kurz und knapp: "Ich bin lieb". Voll die Souveränität! Es war einfach faszinierend!

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Themenwechsel. Beim letzten Post habe ich vom schwer zu verstehenden "Leiter ohne Leiter" geschrieben. Und dabei auf den auch nicht leicht zu verstehenden "Garanten" beim Selbst-Verantwortungs-Training (SVT) verwiesen, den ich im nächsten, also diesem Post vorstellen wollte. Hier nur die Funktion des Garanten/der Garantin beim SVT.

Dem Selbst-Verantwortungs-Trainng, einem psychodynamischen amicativen Seminar, liegt ein sorgfältig ausgearbeitetes Konzept zu Grunde.* Es gibt dabei keinen Leiter, auch keinen "Leiter ohne Leiter", wie noch im letzten Post über meine Rolle als Schulleiter beschrieben. 

Das SVT ist es noch mehr "leiterfrei". Die Teilnehmenden sind gänzlich entlassen in ihre Eigenverantwortung, sie sind ohne vorgegebene Orientierung und ohne die schützende Hand eines Trainers/Leiters/Therapeuten/Coachs. Die Verantwortung für sich selbst wird ihnen nicht abgenommen, verringert oder aufgeweicht. Niemand kann sich hinter einen zuständigen Chef zurückziehen und ihm die Verantwortung für das, was (mit ihnen) geschieht, zuschreiben - weil es eine solche leitende Person beim SVT einfach nicht gibt, und wenn mann mit der Lupe Ausschau hält...

Garant/Grantin*

Niemand weiß mit Verbindlichkeit für einen anderen, was für ihn gut ist. Das Prinzip der Selbstverantwortung lässt keinen Besserwissenden für Wachstum und Entwicklung zu als den jeweils Betroffenen selbst. Jeder Teilnehmende ist also sein eigener Selbst-Verantwortungs-Trainer. Das schließt nicht aus, dass man sich von anderen helfen lassen kann, aber auch hierüber entscheidet ein jeder selbst. Und während des gesamten Hilfsprozesses bleibt jeder selbst am Regiepult, auch wenn er einem anderen grünes Licht gibt, hilfreiche Ideen einzubringen. Selbst-Verantwortungs-Training hat somit keinen Leiter, Moderator, Facilitator oder sonstigen Trainer.

Selbst-Verantwortungs-Training ist jedoch nicht nur eine Selbsthilfegruppe ohne Leiter. Beim Selbst-Verantwortungs-Training ist eine Person dabei, die das Selbstverantwortungsprinzip verinnerlicht hat. Sie wird „Garant“/„Garantin“ genannt. Der Garant fühlt die Selbstverantwortungsidee als existenzielle Größe in sich. Seine Anwesenheit bedeutet, dass durch eine (seine) Person das Selbstverantwortungsprinzip unter den hier zusammengekommenen Menschen präsent ist.

Der Garant ist nicht Garant in dem Sinn, dass er den anderen Teilnehmenden dafür einzustehen hätte, dass sie dies oder das lernen. Er ist nicht Garant für persönliches Wachstum und Entwicklung. Hierfür liegt die Kompetenz bei jedem einzelnen selbst. Er ist Garant für die Selbstverantwortungsidee: Wenn er teilnimmt, wird diese Idee verlässlich durch seine Person präsent sein. Auch andere Teilnehmende können sich als Garanten erweisen oder sich zu Garanten entwickeln.

Nur: Um ein Selbst-Verantwortungs-Training zu realisieren und nicht eine andere psychodynamische Gruppe, muss (mindestens) von einer Person, die Selbstverantwortungsidee verstanden und verinnerlicht worden sein.Hierbei ist es nicht von Bedeutung, wie sich diese psychische Disposition in konkretem Verhalten äußert. Der Garant wird das tun oder nicht tun, was er gerade tun oder nicht tun will – hier ist er ein Teilnehmender wie jeder andere. Entscheidend ist seine (Selbstverantwortungs)Haltung.

Es ist gänzlich die Sache der anderen Teilnehmenden, wie sie mit dem Garanten, seiner Haltung und seinem Verhalten umgehen wollen. So wie es auchseine subjektive Sache ist, wie er mit ihnen umgehen will. Er ist nicht der Leiter der Gruppe: er ist ein Teilnehmender! Aber eben ein Teilnehmender, der diese spezifische Haltung verinnerlicht hat und der damit das psychische Klima der Gruppe um diese Dimension erweitert.

Erfahrungsgemäß gibt es in der Gruppe Probleme mit der Funktion des Garanten. Immer wieder wird er doch als Leiter gesehen, als jemand, der den anderen zu mehr Selbstverantwortlichkeit verhelfen kann und soll. Es lässt sich jedoch ebenfalls immer wieder feststellen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt das Verständnis für die Funktion des Garanten spürbar vorhanden und damit die Sichtweise eines Leiters deutlich überwunden ist. Mal früher, mal später. Dies geht einher mit dem zunehmenden Gespür der Teilnehmenden für ihre Selbstverantwortung, die in Wirklichkeit ja niemals von einem anderen kommen kann, sondern nur in jedem selbst lebt und nur von jedem selbst erspürt werden kann.


* Konzept des Selbst-Verantwortungs-Trainings, zu beziehen beim Amication - Förderkreis e.V. Zu finden auch auf der Website/Homepage des Förderkreises www.amication.de.