Montag, 13. Februar 2023

Vierzigtausend Neinsteine



Wie oft sind wir Leidzufüger? Wie oft rollen wir Steine in den Weg unserer Kinder, und sie können nicht tun, was sie wollen? Sind es 5 oder 10 Neins am Tag? Wenn die Kinder klein sind, sind es mehr, wenn sie größer werden, weniger, wenn sie ganz groß sind, kaum einer. Sagen wir im Schnitt aller Jahre: 5 Neinsteine pro Tag. Das sind bei 18 Lebensjahren etwa 33.000 Steine.

Zu den Steinen der Eltern kommen noch die Neins der Omas, Opas, Onkel, Tanten, Erzieher, Lehrer, sonst wer dazu – überschlagen rund 40.000 Neinsteine. Vierzigtausendmal »Nein« wartet auf jedes Kind. Habe ich vorgesetzt bekommen, haben Sie vorgesetzt bekommen.

Ja, wenn unsere Eltern einen guten Tag hatten, waren es vielleicht nur 39.429. Aber im Prinzip vierzigtausend. Ich weiß nun nicht, wie sich dieser riesengroße Steinehaufen verringern lässt. Ich weiß aber etwas zu der Botschaft, die von diesen Steinen ausgeht, von ihrer psychischen Dimension, ihrem Geruch, ihrer Farbe.

Auf der psychischen Ebene sind das entweder 40.000 Steine mit der Botschaft: »Sieh ein, ich habe recht!« Was für uns Kinder heißt: »Ich soll es einsehen. So wie ich das will, ist es nicht richtig. Ich bin nicht richtig.« 

Wir lernen Selbstzweifel und Schuldgefühl. Unsere Selbstliebe und Selbstkraft werden angeknabbert, zersetzt. Und wir werden zu den Erwachsen, die wir heute sind, mehr oder weniger voller Selbstzweifel und Schuldgefühl. Mit viel weniger Selbstliebe als es sein könnte. 

Oder die Botschaft all der Steine ist dies nicht. Keine Attacke auf die Selbstliebe. Nur Attacken auf unser Tun. Wir können zwar nicht tun, was wir wollen, Steine im Weg eben. Wie ein umgefallener Baum, wenn wir mit dem Dreirad daherkommen und umdrehen müssen. 

Ärgerlich genug – aber die Botschaft ist dann nicht »Sieh ein, ich habe recht!« mit den verheerenden Folgen. Sondern »Hier stehe ich, ich kann nicht anders!« Keine kindbezogene Botschaft, sondern eine elternbezogene Botschaft, kein seelischer Angriff, kein psychischer Übergriff. 

Dann werden wir nicht darin verstrickt, dass wir etwas einsehen sollen, was wir nicht einsehen wollen. Wir können unseren Glauben an uns behalten, auch wenn wir nicht tun können, was wir wollen. Selbstliebe und Selbstkraft werden nicht zersetzt. Kein Selbstzweifel, kein Schuldgefühl. Wir werden anders groß.