Montag, 25. Oktober 2021

Ich bin nicht für Kinder verantwortlich...

 


...weil die Kinder das selbst sind.

Auf dem Vortrag neulich ging es mal wieder um die Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder haben. Mein „Ich bin nicht für Kinder verantwortlich“ kam nicht so gut. Ich stand als jemand da, der sich nicht um Kinder kümmert. Lieblosigkeit und unrealistisches Hängenlassen standen im Raum. Da habe ich dann klar gemacht, wie ich das meine und was es mit der Verantwortung und der Selbstverantwortung so auf sich hat. 

Ich unterscheide in „Verantwortlich für“ und „Verantwortlich für“. Das sind zwar dieselben Worte, aber sie haben je nach dem, was mitschwingt und was ausgesagt werden soll, unterschiedliche Bedeutungen. Dieselben Worte – doch verschiedene Bedeutungen: das ist das Problem. Die Zuhörer – und nicht nur die auf den Vorträgen – sind bei der Verantwortungsthematik in einem anderen Nachdenken unterwegs als ich, wenn ich vom „Ich bin nicht für Kinder verantwortlich“ spreche.

Zwei Räume also. Das kann ich thematisieren, aussprechen, klarmachen, und das sollte ich auch, damit das Gespräch überhaupt richtig funktioniert. Was ich oft aber nicht tue. Wieso? Weil mir mein eigener Raum so präsent ist, dass ich den anderen Raum – den üblichen, in dem die Zuhörer unterwegs sind – ausblende. Und weil ich diesen anderen, diesen üblichen Raum, in dem fast alle unterwegs sind, unwürdig finde. Und weil ich mich bei meinem Vortrag „Unterstützen statt erziehen“, also bei einem Gespräch über meine Welt, damit nicht beschäftigen will. Was aber ziemlich uneffektiv ist, denn die Gesprächspartner bekommen dann meistens nicht mehr mit, was ich vermitteln will. Aber keine Sorge, ich schaffe das im Laufe eines Vortragabends schon.

„Ich erziehe Kinder nicht“ – auch so ein Satz, der in die Irre führt, wenn ich seinen konstruktiven Hintergrund nicht gleich mit vermittele.“Unrealistisch, antiautoritär, der spinnt doch“ ist dann ein schnelles Urteil. Dabei ist es weder unrealistisch noch antiautoritär noch gesponnen, sondern etwas sehr Sinnvolles. Bei der Verantwortungsproblematik ist es genau so.

Also Klarstellung:

„Verantwortlich für“ Nummer 1, die Kümmer-Verantwortung. Die ich selbstverständlich praktiziere.

Die Kümmer-Verantwortung: Ich kümmere mich um alles möglich: die Kinder, das Fahrrad, den Arzttermin, die Katze, endlos. Da passt das "Ich bin verantwortlich für" gut: Ich bin für die Kinder verantwortlich (kümmere mich um sie), damit sie sich wohl fühlen. Ich bin für das Fahrrad verantwortlich (kümmere mich um es), damit es sicher fährt. Ich bin für den Arzttermin verantwortlich (kümmere mich um ihn), damit ich ihn nicht verpasse. Ich bin für die Katze verantwortlich (kümmere mich um sie), damit sie was zu futtern hat. Ich bin für Endlos verantwortlich (kümmere mich darum), damit es gut endet. – Hier gehen alle mit.

„Verantwortlich für“ Nummer 2, die Anmaß-Verantwortung. Die ich selbstverständlich ablehne.

Sie ist nicht leicht zu verstehen und zu erfühlen. Sie taucht nicht auf am Horizont der Wahrnehmung, wenn es um die Kinder (und auch andere) geht. Wegen eines hintergründlichen Machtwillens und eines gouvernantenmäßigen Herrschaftsanspruchs, der so ganz selbstverständlich ist. Vor lauter Unterwegssein in der Kümmer-Verantwortung wird die Anmaß-Verantwortung nicht bemerkt. Es gibt keine Sensibilität dafür, dass im „Ich bin für Kinder verantwortlich“ etwas Übergriffiges, Verletzendes, Herabsetzendes stecken kann. Diese Anmaß-Verantwortung gehört in unserer Kultur ganz automatisch zu uns, wird aber nicht als Anmaßung erlebt – sondern als sinn- und liebevolle Fürsorge – und ist in langer Tradition verwurzelt. Die sich überwinden lässt.

Beispiel für eine solche Anmaßung und ihre Überwindung: „Männer sind für Frauen verantwortlich, weil die Frauen das nicht selbst sind. Männer sind in bester Absicht und voll Fürsorge für die Frauen unterwegs. Männer wissen, was für Frauen gut ist.“ Diese patriarchalische Position ist heute von den Männer überwunden. Nicht bei allen, aber immerhin. Männer haben verstanden: Frauen sind selbstverantwortlich.

Wenn das „Ich weiß, was für Dich gut ist“ mit einem Macht- und Herrschaftsimpuls daherkommt, wie richtig ein solches Wissen auch sein mag, dann ist so ein Gutwissen vergiftet. „Ich weiß, was für Dich gut ist, denn ich bin für Dich verantwortlich und kümmere mich um Dich“ – wenn diese Denkwelt mit einem Drüberstehen über dem anderen daherkommt – dann kann man sagen: das geht ja auch nicht anders. Oder man kann sagen, und das sage ich: das geht sehr wohl anders. Und dann beginnt meine Argumentationswelt:

Jedes Lebewesen trägt für sich selbst Verantwortung, von Anfang bis Ende. Wer das nicht so sieht, wird von dem Lebewesen, von dem er das nicht sieht, als Übergriffiger, Herabsetzer und Unterdrücker erlebt. Wenn jedes Lebewesen eine solche Selbstverantwortung denn hat – was aber meine Position ist. Ich sage: Jedes Lebewesen hat diese Selbstverantwortung – mithin auch menschliche Lebewesen, von Beginn (Zeugung) bis Ende (Tod). Mithin auch Embryos, Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder, Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, Erwachsene, Senioren, Pflegebedürftige, Sterbende. Und von daher ist ein „Ich bin für Dich verantwortlich“, bei dem das „Du bist es nicht (noch nicht, nicht mehr)“ mitschwingt, ungut und destruktiv. Was ich nicht mitmache. Von daher kommen Respekt vor und Achtung für die Selbstverantwortung des Kindes. Ich bringe das mit dem Statement „Ich bin nicht für Kinder verantwortlich“ zum Ausdruck. „Weil die Kinder das selbst sind.“

Dabei nicht übersehen: ich kümmere mich um Kinder, bei allem und jedem, was gekümmert sein will. Von der Windel bis zur Hustenmedizin. „Ich bin für Dich verantwortlich - Deine Windelhygiene, Deine Hustengesundheit.“ Klar. „Ich bin nicht für Dich verantwortlich - Deine Windelhygiene, Deine Hustengesundheit“. Auch klar. Passt das zusammen? Solche widersprüchlichen Sätze? Es passt, es kommt auf das an, was im Hintergrund mitgedacht wird.

Somit: „Ich bin nicht für Kinder verantwortlich, weil die Kinder das selbst sind.“ Menschenkinder sind selbstverantwortliche Wesen wie alle lebenden Organismen, von Anfang an.

Wie sie das dann alles so hinbekommen, diese Selbstverantwortlichen? Sie nutzen – in ihrer Verantwortung – ihre Ressourcen: Plazenta, Mama, Papa, Gesellschaft. Und Plazenta, Mama, Papa, Gesellschaft geraten in Resonanz und geben den Kindern, was diese brauchen und einfordern.

Eigentlich doch ganz einfach!