Montag, 21. Dezember 2020

Im Dannenröder Forst - Du bist nicht allein!

 


 „Du bist nicht allein! Du bist nicht allein! Du bist nicht allein!“ Als die jungen Leute rechts und links zu skandieren anfingen, wurde es doch noch einmal anders, erreichte einen anderen Level. Ich hatte in der Nähe zu tun und wollte einen Abstecher zum Ort des Geschehens machen. Dem Ort, der in den Nachrichten war und mit dem ich mich verbunden fühlte. Dem Dannenröder Forst. Bäume fällen für die nächste Autorase? Find ich heutzutage unpassend. „Muss ja nicht durch den Wald gehen, wenn es denn sein muss – wenn es denn sein muss“, so war ich unterwegs. Jedenfalls wollte ich mal ein bisschen Solidarität zeigen, mich wenigstens mal blicken lassen. Samstag Spätnachmittag vor dem großen Aktionstag morgen, am Sonntag, dem 29. November, an der geplanten A 49 bei Gießen.

Dann waren da drei große Zeltlager auf den Weiden, sicher 1000 Personen. Fand ich viel. Alle liefen mit Maske rum. Fand ich überraschend und überzeugend. Friedensvoll das Ganze. Auf dem Weg durch den Wald nach vorn war dann Sägegrusel zu hören. Gar nicht schön. Der Zaun mit Natodraht oben drauf: Noch weniger schön. Das sicherte die Maschinen, die Logistik, Polizeifahrzeuge und den Wasserwerfer ab. Wie will man da noch was verhindern? Ich schnappte mir einen grünen großen Nadelzweig – jetzt hängt er im Ekeldraht. Mein kleines Zeichen.

Links gings zur Aktion. Es war schon ziemlich dunkel, ungefähr 50 Leute waren unterwegs. Wollten wie ich einfach mal schauen, bevor es morgen zur Sache geht. Nach 3 Minuten an Zaun lang kam – nur ein rotweißes Absperrband, das übliche, von Baum zu Baum gezogen. Vor mir, das heißt auf der anderen Seite des Bands: große freie Fläche, genug Platz für die Autobahn, vollendete Tatsache. Doch weiter linkslinks, da war Aktion: in 200 Meter Entfernung Maschinen, Säge, Rufe, Fallgeräusch der grünen  Nadelriesen. Gar nicht schön. Gruselig. Ging ans Herz.

Auf der anderen Seite des Bands, 10 Meter vor mir, stand eine Handvoll Polizisten, in Kampfmontur. Lässig. Unsereins war ja auch brav, irgendwie touristisch unterwegs. Jedenfalls heute. Musterung, Auge in Auge. Schweigen. Aber dann: einer, ein Mach-Ich-Nicht-Mit, brach durch, rannte zu den Waldriesen. Die Polizisten vor mir hinterher. Er wurde auf den Boden geworfen, Handschellen, abgeführt. Wir, diesseits, im Herzen jenseits, überrascht, reglos, überwältigt. Wie der Mensch, der jetzt von anderen Menschen abgeführt wurde. Dann kam es das erste Mal: „Du bis nicht allein“, leise, dann mehr und dann richtig laut. Die drei verblieben Polizisten vor uns strafften sich, einer hielt den Schlagstock in der Hand.

Und schon wieder gab es Alarm, vorn bei den Maschinen sprintete der Nächste Mach-Ich-Nicht-Mit zu den Bäumen hin, auch er wurde gefasst und abgeführt. „Du bis nicht allein, Du bis nicht allein, Du bist nicht allein.“ Robust und laut.

Was ist schon ein Band aus Plastik? Das ist nichts. Aber es war alles. Es sagte klar und deutlich, nicht misszuverstehen: bis hier hin und nicht weiter! Und wenn ich da einfach...Ja, was dann? Hinrennen? Mir nicht gefallen lassen, was mir nicht gefällt? Den ganzen Kladderadatsch, der dann unweigerlich kommen würde, über mich ergehen lassen? Tja, ich hab drüber nachgedacht, in Erwägung gezogen, es bleiben lassen. Aber zwiespältig. Wer will ich sein? Wer bin ich? Die Bäume, jeder einzelne schöne Riese, sollen stehen bleiben, wachsen und leben! Die Autos können auch woanders lang fahren, durch Wiesen und Felder...auch nicht schön, aber besser, als Baum tot und Wald weg! Der bin ich. Der will ich sein.

Das "Da kannst Du nichts machen“ war nicht da. Klar kann ich was machen. Wie die beiden eben. Nur: das bringt nicht die Baumrettung. Es bringt für mich aber was: das gute und tiefe Gefühl, mir nicht alles bieten zu lassen. Schon klar, aber der Preis war mir dann zu hoch. Gebrochene Knochen, Verfahren am Hals. Feige? Einsicht? Abwägen? Ich hab es halt gelassen. Und die anderen rechts und links neben mir auch. Aber ich versteh sie, die oben auf den Bäumen trotzen und für den Wald und ihr Selbst einstehen: Du bist nicht allein.

Hat mich aufgewühlt, das „Du bis nicht allein“. Wenigstens das wurde den beiden Aktivisten mitgegeben. Wenig. Aber mehr als Null. Wie mein Besuch vor Ort: wenig, aber mehr als Null. Und ich habe wieder einmal gemerkt: Mit mir ist zu rechnen. Alles geht mir nicht durch... Es kommt drauf an, um was es geht, aber ich steh parat. Und werde dann nicht allein sein.