Bei dem schönen Wetter bin ich draußen. Ich sitze auf einer Bank am Waldrand, esse meinen Apfel und sehe den Vögeln zu. Blaumeise, Kohlmeise, Sumpfmeise, Buchfink, Zilpzalp und Co. Es ist idyllisch. Aber es gibt ja Corona. Seit Tagen und Tagen das Hintergrundgeräusch. Und das Zukunftsgeräusch. Oder eher Hintergrundmusik und Zukunftsmusik? Egal, das Welttheaterstück Corona belgeitet mich.
Ich gehe irgendwie gelassen damit um. Obwohl es ja viel von meiner Konzentration einfordert. Und meiner Zeit. Ich bin auch anteilnehmend und interessiert. Aber, und das habe ich neulich schon geschrieben, ich kann das alles ja auch ausblenden. Wie die 3 Millionen Kinder unter 5 Jahren, die jedes Jahr an Hunger sterben. Angerührt ja, ausblenden ja. Wie so viel anderes Leid auf der Welt, wohin man auch schaut.
Ob ich Corona, das alles nicht ganz schlimm finde, katastrophal? Ein Freund fragte mich. Na ja, was heißt hier katastrophal? Jedes individuelle und persönliche Leid und Elend ist eine Katastrophe. Aber ich habe das dann doch mal an anderen Groß-Schrecknissen gemessen, die hier passieren könnten. Die Coronakrise ist ja kein Atomunfall, mit Blitz und Donner und zigtausend Toten auf einmal und zigtausend Toten in den Jahren danach. Könnte ja auch passieren, es gibt noch sechs laufende Atomkraftwerke in Deutschland. Es ist ja auch kein gewaltiges Erdbeben mit zigtausend Toten, könnte ja auch passieren, meine nächste Erdbebenzone ist in der Eifel. Es ist ja auch kein Vulkanausbruch mit zigtausend Toten. Könnte ja auch passieren, in der Vulkaneifel oder sonstwo in Deutschland, es gibt 9 Vulkanzonen hierzulande. Es ist ja auch kein Militärüberfall mit zigtausend Toten, könnte ja auch passieren, die Weltpolitik ist grad mal nicht so berechenbar.
Es ist ja auch nicht die Pest ausgebrochen. Es ist ein Virus. Sagen wir mal: nur ein Virus. Irgendwie überschaubar. Klar, wenn wir nichts unternehmen, gibt es auch zigtausend Tote, es könnten Millionen werden. Aber wir, alle, tun ja etwas, damit das nicht passiert, damit es keine wirkliche Katastrophe wird. Also: die Coronakrise ist keine Katastrophe, sie ist harmlos im Vergleich zu den grade aufgezählten Szenarien, die wirkliche Katastrophen wären. Und die Wirtschaft? Das wird schon wieder.
So weit, so klar. Was ja noch kommen kann. Wer weiß das schon. 100 Millionen Corona-Infizierte auf der Welt mit 10 Millionen Corona-Toten? Marke Spanische Grippe wie vor 100 Jahren, da gab es 500 Millionen Infizierte mit 50 Millionen Toten. Nur, aber, also: Ich warte das mal ab. Gemach. Ich habe da so eine gewisse Gelassenheit den Unbilden, Umglücken, Katastrophen gegenüber, in die ich geraten könnte, die über mich herfallen könnten. Katastrophal für mich wäre ein Autounfall, Vergiftung, Geiselnahme und so etwas. Zum Leben gehört das Lebensrisiko. Man kann auch die Treppe runterfallen und aus ists.
Soviel zum Gruseligen. Ich will mir da nichts schönreden, ich mache mir nur einen angemessenen Rahmen. Und bleib mal auf dem Boden.
Es gibt ja auch Schönes in der ganzen Coronakrise: Die vielen Mitmenschlichkeiten, Einfühlungskeiten, Humorigkeiten, Fröhlichkeiten. Die Leute sind doch so positiv! Sie singen von den Balkonen, sie applaudieren von den Balkonen, sie nähen selbst Masken, sie halten beim Spazierengehen Abstand. Die Leute sind irgendwie auch beschwingt und erfülllt in ihrer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit und Fürsorglichkeit. Ich werde von Fremden angelächelt. Manchmal kommt ein fürsorglicher Blick, ich gehöre ja zur Risikogruppe...
Wir immer ist jeder sein eigener Chef, auch darin, wie er mit Corona umgehen will. Ich nehm Corona nicht auf die leichte Schulter, halte den Anstand ein und wasche mir sorgfältig die Hände. Aber ich mach mich nicht verrückt. Ich habe - natürlich - eine Hollywoodszene vor Augen, die mich erst irritiert hat, dann aber schlüssig wurde und die ich immer dabei habe. Im Erdbeben-Katastrophenfilm "2012" gab es auch einen Vulkanausbruch. Der Protagonist berichtet davon aus der Nähe per Funk. Und er hat keine Chance. Das weiß er, doch er ist einfach nur begeistert, das miterleben zu können. Die Welt würde untergehen, klar, gleich würde es aus mit ihm sein, und so kam es dann auch (andere überlebten, der Film sollte ja weitergehen). Aber er berichtet - grade auch angesichts seines bevorstehenden Endes - unverdrossen, fröhlich und begeistert davon, was er sieht: wie sich die Erde wölbt und dann der grandiose Ausbruch. Das lässt er sich nicht nehmen - was sollte er sich grämen?
Was sollte ich mich grämen?