Montag, 9. März 2020

Amication leben, Antonett







Ich schaue gerne nach, wie mein Blog rezipiert wird. Heute konnte ich sehen, dass auch der Post "Amication leben, Helmut" aufgerufen wurde. Ich hatte vor Zeiten einmal herumgefragt, ob mir jemand aufschreiben könnte, was Amication in der Dimension "Ich liebe mich so wie ich bin" für ihn bedeutet. Daraufhin schrieb mir auch Helmut seine Gedanken auf. Es waren insgesamt 18 Berichte zusammengekommen, von denen ich bisher sieben in den Blog übernommen habe.* Da wieder einmal ein Bericht gelesen wurde, will ich jetzt einen weiteren posten: den von Antonett.



 Amication leben, Antonett

Ich habe das Märchen geglaubt, das mir erzählt wurde: dass ich nicht auf mich, meinen Nutzen, mein Glück, meine Wünsche achten darf, sondern mein Leben damit verbringen muss, für das Wohlbefinden anderer zu sorgen oder es zumindest nicht zu stören. Mein Vorname Antonett beinhaltet das ganze Programm, deshalb gefällt er mir auch nicht mehr. Mein Nettsein war Selbst-Verleugnung.

Ich habe - bis auf meine ersten und meine letzten Jahre - fast mein ganzes Leben mit einer Frau verbracht, die mich unglaublich schlecht behandelte. Ich hatte mich so an ihr Vorhandensein gewöhnt, dass mir nicht mehr auffiel, dass sie der Grund dafür war, dass ich mich ständig schlecht (im wahrsten Sinne des Wortes) fühlte. Der Gedanke, mich von ihr zu trennen, kam mir daher erst recht nicht.

Nie war sie mit mir zufrieden! Ständig nörgelte sie an mir herum und forderte mich auf, mich zu ändern. Wenn es mir schlecht ging, ließ sie mich fast immer im Stich: statt mich zu trösten und auf meiner Seite zu stehen, wenn ich traurig war, machte sie mir Vorwürfe: "Du stellst dich immer so an!" Wenn ich etwas nicht geschafft hatte, ermutigte sie mich nicht, sondern es hieß: "Von dir war ja nichts anderes zu erwarten. Versager!" Wenn ich mich ungeliebt fühlte, meinte sie, das wundere sie gar nicht, schließlich sei an mir ja auch nichts Liebenswertes zu entdecken.

Und ich hörte mir alles an und zuckte zusammen und murmelte: "Du hast ja recht..." Diese Frau war wie ein teuflischer siamesischer Zwilling. Diese Frau war ich selbst!

Dann merkte ich, dass wir gar nicht untrennbar aneinander gewachsen waren, sondern nur durch Handschellen miteinander verbunden, zu denen der Schlüssel verloren gegangen war: Ich war eine Gefangene! Ich fand den Schlüssel, habe mich von ihr befreit und sie davongejagt. Der Schlüssel war die Erkenntnis, dass ich wichtig, wertvoll und gar nicht verbesserungsbedürftig bin, sondern okay. Ich weiß jetzt, dass ich das Recht habe, so zu sein, wie ich bin: Zu fühlen, was ich fühle. Zu denken, was ich denke. Zu wollen, was ich will. Zu tun, was ich tu.

Wenn ich schreibe, dass ich das Recht habe, zu sein, wie ich bin, heißt das nicht, dass ich unverändert bleiben will oder bleibe. Ich verändere mich wie jedes lebendige Wesen (im Gegensatz zu Marionetten) ständig - aber nun zu meinen Gunsten, aus mir selbst heraus, ohne Ziel ("So und so muss ich werden, so und so darf ich nicht bleiben"). Ich zerre und (er)ziehe nicht mehr an mir herum, sondern finde es spannend und schön, heute noch nicht zu wissen, wie ich morgen sein werde. Ich bin nicht mehr auf der Welt, um andere glücklich zu machen - dass sie es durch meine Existenz oft sind, macht mich natürlich froh, aber es ist nicht mein vordersts Ziel. Erstmal ist dies mein (und soviel ich weiß, einziges) Leben, meine nicht wiederholbare Zeit - und ich habe alles Recht, sie für mich zu nutzen.

Ich hoffe, dass ich mich einmal nicht nur akzeptieren, mögen und freundschaftlich behandeln, sondern lieben werde - wie einfach wäre dann mein Leben! Ich müsste der Liebe dann nicht mehr nachlaufen - sie wäre bei mir und keiner könnte sie mir nehmen. Keiner könnte mich durch Behauptungen in eine gute oder schlechte Antonett verwandeln. Liebe heißt für mich: "So darfst du sein - gleich gültig, was das ist: 'so'." Auf diese Weise möchte ich mich selbst auch lieben.

Dass ich die ersten Schritte in Richtung Selbstliebe getan habe, merke ich schon in alltäglichen Kleinigkeiten (wie sich Liebe eben stets mehr im Kleinen zeigt als in den großen Taten!), am Umgang mit mir selbst, der liebevoller und sorgsamer geworden ist. Ich behandle mich immer mehr wie eine Freundin: "Für mich ist das Beste gut".

So achte ich zum Beispiel mehr auf mein körperliches Wohl: ich lasse mich nicht mehr aus Gleichgültigkeit hungern und knalle mir das Essen nicht mehr so unhöflich auf denTisch. Ich lasse mich nicht mehr frieren, sondern bin mir die eine Minute, die das Warmanziehen kostet, wert - auch wenn ich nur um die Ecke zum Bäcker will. Ich achte auf mein Leben, denn es ist lebenswert: zu Stoßzeiten schiebe ich mein Rad über den Zebrastreifen, statt mich in das Chaos des Kreisverkehrs zu stürzen. Mein Leben ist mir wichtiger als die paar Minuten Zeitersparnis und das Kopfschütteln der "mutigen" anderen Leute. Im Laden dulde ich nicht mehr, dass sich andere vordrängeln und mir meine Zeit stehlen. Ich wehre mich, wenn andere acht(ungs)los mit mir ungehen, statt wie früher hilflos herumzustehen und zuzulassen, dass ich verletzt werde. Wenn ich traurig bin, ermutige ich mich zum Weinen, statt mich lieblos wie früher zur Ordnung zu rufen. Wenn ich mich langweile, ärger, mit mir unsympathischen Menschen zusammen bin, weiß ich jetzt, dass ich dort nicht bleiben muss und beschließe: "Das tu ich mir nicht an". Und gehe, mich sinnvollen Dingen zuzuwenden.





* Die bisher im Blog aufgnommen Berichte sind von Jutta (Post vom 16.4.17), Michael (18.4.17), Elisabeth (20.4.17), Christiane (11.6.17), Helmut (30.6.17), Vera (30.9.17), Ursula (20.1.18).