Samstag, 2. Dezember 2017

Kinderstreit und Sonnenstrahlen





















Klara (6) und Kolja (4) sind zum Babysitten da. Alles läuft gut, doch
dann will Kolja auch mal den Leuchtstab haben, den Klara hat. Aus
meiner Sicht berechtigt, Klara spielt damit seit 10 Minuten. Koljas
Bitte wird nachdrücklicher, Klara rückt ihn nicht raus. Es kommt zum
Streit. Lauter Streit, Tränen.

Soll ich intervenieren? Das "Kolja ist jetzt auch mal dran" ist da, es
ruft mich auf. Aber ich will das nicht von mir aus tun. Fänd ich ir-
gendwie unpassend, unhöflich. So eine Intervention sagt für meine
Ohren im Subtext: "Ihr könnt Eure Konflikte nicht allein lösen. Ihr
seid da unzuverlässig. Nicht vertrauenwürdig. Unfähig. Kinder eben,
die das noch nicht können." Ich wäre die Ordnungsmacht. Meine
Intervention käme mir übergriffig vor.

Lasse ich die Kinder im Stich? Bin ich herzlos, unsensibel? "Du
kannst doch nicht einfach nur zusehen, wenn sie sich streiten und
nicht weiterwissen." Das hör ich schon. Doch ich seh nicht nur zu.
Ich sehe zu ohne "nur". Ich bin ja da, und sie sehen mich. Ich schicke
Freundliches, Anteilnahme. Ich schicke keine Ungeduld, Vorwurf,
Grummel. Und ich bin ja da, wenn sie mich zu Hilfe rufen sollten.
Und auch ein "Soll ich Euch helfen?" ist schon viel zu viel Einmischen,
stößt sie aus ihrer Konzentration aufeinander.

Nein, ich trage ihren Streit, ihr Geschrei, ihre Tränen. Ich ertrage
sie nicht, ich trage sie. Und all die vielen üblichen Möglichkeiten,
die an mich heranwabern, schicke ich weg, auch freundlich und
gelassen. Möglichkeiten: Den weinenden Kolja auf den Arm neh-
men, Klara ins Gewissen reden, "Wenn ihr Euch nicht einigt, ver-
schwindet der Leuchtstab mal für eine Weile", Ablenkungsmanöver
starten, sie rausholen aus der Situaiton ("Wir gehen jetzt in den
Wald"), Thematisieren Streit und Gerechtigkeit, usw.

Ich habe Geduld, krame in der Küche weiter rum. Klara behält
den Stab, aber auch sie hat Tränen in den Augen. Es wird ruhiger,
es wird still. Dann höre ich an ihren Stimmen, dass sie sich nicht
mehr Gram sind, sie verhandeln irgendetwas, dass nicht mit dem
Leuchtstab zu tun hat. Sie kommen zu mir, suchen meine Nähe,
und wir besprechen, ob wir rausgehen. Der Stab in Klaras Hand
hält die Klappe.

Einen Satz sage ich ihnen aber doch. Ich habe ihre Gesichter
beim Streit gesehen. "Wir tun etwas Ungehöriges." Beschämt-
sein, Schuldgefühl. Schnute, Blick auf den Boden. Ich sage
ihnen: "Bei mir könnt Ihr auch streiten. Das ist ok. Da gibt es
keine Schimpfe." Mir liegt daran, ein Pflaster zu kleben, ein
Trostbonbon zu geben, Sonnenstrahlen zu schicken.

Und ich freue mich: Ich habe sie nicht aus ihrer Balance ge-
stoßen, ich habe ihre Souveränität nicht angetastet. Ich habe
den Pfad iher Würde nicht verlassen: "Auch wenn Ihr streitet
und schreit und Tränen fließen - Ihr seid Menschen mit einer
Würdekrone." Ich weiß aber auch, dass ich das nur kann,
weil mich ihre Töne, Emotionen, Kinderbotschaften, Signale
aus meiner eigenen Kindheit nicht verwirren, zum Intervenie-
ren drängen. Und ich merke, dass ich dankbar bin für dieses
Friedensgeschenk.