Eine Mutter erzählt, dass es im Kindergarten jetzt "Autonomiephase" heißt statt "Trotzphase". Was soll ich davon halten?
Einerseits ist das ja schon mal was. Der Rappel der Zweijährigen wird nicht mehr ärgerlich abgetan, sondern achtsam begleitet, Fortschritt. Wenn die Erzieherinnen die Kinder mit Autonomieaugen sehen statt mit Trotzaugen, ist das eine gute Sache.
Andererseits kommt es ja darauf an, was dahintersteckt. Alter Wein in neuen Schläuchen? Und da bin ich schon skeptisch. Es gibt so eine subtile liebsäuselnde Art, die Zicken der Kinder zu kontern, die eigentlich noch ekliger ist als ein klarer Ärger über die Trotzbengel. Das geht ja bis ins hohe Alter: "Wir haben unsere Pillchen wieder nicht genommen?!"
Ich will da nicht meckern. Die zeitgemäße Pädagogik bemüht sich um Achtsamkeit. Man kann jemandem das Zäpfchen mit Schmackes oder sanft reintun, sanft ist allemal besser. Nur: Wenn ich gar kein Zäpfchen will? Wem gehört mein Körper, wem gehöre ich? Auf dieser Ebene wird das alles aber nicht verhandelt. Kinder gehören sich nicht selbst, das ist der klare Grundton aller Pädagogik und aller Kindergartenszenarien.
Die Autonomie des Menschen, auch des jungen und jüngsten unter uns, also auch der Zweijährigen, wie sie die Amication wahrnimmt, ist bei "Autonomiephase statt Trotzphase" nicht im Spiel. Es sei denn, den Kindern im Kindergarten steht tatsächlich eine Erzieherin mit amicativem Selbstverständnis gegenüber. Was vorkommt, aber selten ist. Und mir in dem Gespräch mit der Mutter nicht vermittelt wurde.
Wenn die Kinder mit Innehalten und Nachdruck ihre Wege gehen und ihre Dinge tun wollen, dann fällt das für mich nicht aus dem Rahmen. Ihre Souveränität und Autonomie ist von Anfang an da, sie nimmt nur eine neue Form an. Der Säugling ist da anders als der Zweijährige, der wieder anders als der Vieljährige, der wieder anders als der Hundertjährige.
Das Kontinuum der Autonomie- und Souveränitätswahrnehmung, das von ihren (amicativen) Eltern ausgeht und in dem sie groß werden, gibt nichts her, was eine besonderen Beachtung und dann auch Bezeichnung erfordert. Es gibt keine Trotzphase und es gibt auch keine Autonomiephase in einer Familie, deren Eltern ein amicatives Selbstverständnis haben. Ebenso wie es keine "Pubertätsprobleme" gibt.
Es gibt das alles nicht nur als Bezeichnung nicht, sondern diese "Rappel", "Anfälle" und "Ausfälle" kommen einfach nicht vor. Der ganze Umgang löst so etwas nicht aus. Autonomie ist ja von Anfang an immer im Spiel und drückt sich ohne die Komplikationen aus, die es in pädagogisch geprägten Beziehungen gibt, geben muss.
Beziehungen und ihre konkreten Ausprägungen zu sehen, erkennen, einordnen, bewerten und dann auch entsprechend zu bezeichnen - dies geschieht vor dem Hintergrund des Menschenbildes, das wir in uns tragen. Womit ich wieder beim Kontrast von pädagogischen Bild (homo educandus) und nicht pädagogischem Bild (homo jedergehörtsichselbst) angekommen bin.
Ich achte ja ihr
Bemühen, ihr Einfühlen, ihr Begleiten. Aber ich übersehe nicht den
scharfen Gegensatz. Und so antworte ich freundlich, ohne mich zu
verbiegen und ohne zynisch zu werden: "Autonomiephase? Hört
sich doch gut an."