»Aber ich muss mich doch um mein Kind kümmern!« Das höre ich immer wieder auf meinen Vorträgen, und dann klingt es mühselig und beladen. Neulich habe ich da mal nachgehakt und bin der Sache auf den Grund gegangen.
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Ich kümmere mich um mein Kind, weil ich das will, weil ich das wirklich will. Eltern stehen oft mit dem Rücken zur Wand und können nicht mehr – weil »ich muss doch«. Nein, Sie müssen nicht. Niemand steht über uns und hat das Recht, uns zu zwingen.
Niemand muss sich eines Kindes annehmen und es großziehen. Niemand muss sich um ein Kind kümmern. Das hört sich nicht gut an, ist aber letztlich die Realität. Ohne das »Ich will« geht nichts, und Eltern tragen dieses »Ich will« in sich.
Eins ist aber auch klar: Wenn das »Ich will« nicht geschieht, sterben die Kinder. Das Baby ist unerwünscht? Man wohnt im Obergeschoss, öffnet das Fenster, ein Stups und das Baby fällt in den Tod. Wird man erwischt? Bestraft? »War ein Unfall.«
Aber man kann heute eleganter seine Kinder loswerden, ohne dass sie sterben. Das Zweijährige kratzt und beißt und spuckt und tobt. Die Mutter schafft es nicht mehr, der Vater ist fort, und sie will das Kind loswerden. Ohne Fenstersturz.
Sie geht zum Jugendamt, setzt ihr Kind auf den Tisch und sagt: »Nehmen Sie mir das Kind ab, sonst gibt es eine Katastrophe. Ich kann nicht mehr.« Frau Jugendamt: »Gehen Sie zur Familienberatung.« Die Mutter zieht mit dem Kind ab.
Am nächsten Morgen ist sie wieder da, Kind auf den Tisch. »Sie waren doch gestern schon da, was wollen Sie denn noch?« Die Mutter sagt nichts, flitzt ohne das Kind zu ihrem Auto, Motor läuft noch, sie braust davon. Ab zu ihren Freunden in die Toskana.
Das Kind? Es kommt abends in ein Bettchen und wird dann von liebevollen Pflegeeltern großgezogen. Die Mutter kommt nach drei Monaten zurück, bekommt ein Verfahren, wird bestraft. Eins ist klar: das Kind ist sie los, ohne Mord und Totschlag. Sie muss kein Kind großziehen. Niemand muss das.
Ich will damit sagen: Sie stehen niemals mit dem Rücken zur Wand, Sie müssen wirklich kein Kind großziehen. Es kommt eine ganz andere Frage auf Sie zu, und zwar mit Wucht, sie trifft Ihren Kern, und das möchte ich Ihnen klar machen.
»Wer bin ich?« Und: »Was will ich?« Das heißt: »Will ich mit diesem Kind (diesem kratzenden, beißenden, spuckenden, tobenden Monster) durchs Leben gehen?« Und Sie hören tief in sich ein grandioses »JA – ICH WILL«. Überwältigend, kraftvoll und voll Glück.
Wir müssen also nichts – wir wollen! »Ich will mich um Dich kümmern« ist eine ganz andere Aussage und hat eine ganz andere Power als »Ich muss mich um Dich kümmern«. Wir entscheiden selbst, in eigener Regie und Verantwortung, wie unser Weg aussehen soll. Wir lieben unsere Kinder und wollen uns um sie kümmern. Jedes »Muss« ist hier unpassend.
Auch Eltern gehören sich selbst, nichts und niemand steht über uns. Als wir Kinder waren, haben wir etwas anderes zu hören bekommen: Dass dieser und jener und dieses und jenes über uns stehen. Unser Wissen, dass wir uns selbst gehören, wurde nicht weggewischt, sondern, heftiger noch, gar nicht erst in Betracht gezogen. »Kinder werden erst richtige Menschen.«
Und als Eltern folgen wir wieder dieser tief sitzenden Störung und glauben, den Regeln und den Experten folgen zu müssen. Aber Eltern, groß gewordene Kinder, können sich von dieser eingebrannten Abhängigkeit, Kränkung und Traumatisierung lösen und sich emanzipieren. Auch Eltern gehören sich selbst, nichts und niemand steht über uns! Wir müssen gar nichts!