Montag, 20. Januar 2020

Kinderrechte ins Grundgesetz







Kinderrechte ins Grundgesetz?

Na ja, die Mühen der Ebene...Seit Jahren ist die kleine und große Politik dabei, Kinderrechte ins Grundgesetz zu bringen. Im November letzten Jahres kam aus dem Justizministerium dieser Gesetzentwurf heraus, einzufügen als Absatz 1a in den Grundgesetzartikel 6:

"Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich des Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Dazu gibt es reichlich Befürworter und Kritiker, die den Entwurf unter die Lupe und auseinander nehmen. Sehr bemüht und doch Kleinklein. Mir fehlt der Donnerschlag!

"Mitten in unserer modernen 'Demokratie' leben die Kinder unter einer Tyrannenherrschaft - mit deren bekannten Abwandlungen: von übermäßiger Herrschsucht bis zum scheinbar einsichtigen und zurückhaltenden Despotentum, was untereinander keinen erheblichen Unterschied macht. Kinder haben keinerlei Rechte außer den von oben herab diktierten, die jederzeit widerrufen werden können."

 Und:

"Kinder werden in ihrer Eigenschaft als gesetzlich diskriminierte Gruppe in ihrer Gesamtheit körperlich und seelisch bearbeitet und geformt im Hinblick auf ihre spätere Ausbeutung. Die Kinder sind eine unterdrückte Klasse. Sie bilden innerhalb der niederen oder höheren Klasse (je nach Wirtschaftssystem, rassischen oder kulturellen Bedingungen), in die sie zufällig hineingeboren werden, immer die nächstniedrigere Klasse."

Soweit Christiane Rochefort, französische Kinderrechtlerin im Jahr 1976.* - Das ist doch schon mal eine Aussage.

Ich sehe mir die Bemühungen um mehr Rechte für Kinder seit Beginn meines Engagements für Kinder an, seit über 40 Jahren. Man muss sie nicht überfordern, denke ich, die anderen, die Erwachsenen, all die Menschen, die um mich herum sind. Ihr Blick auf die jungen Menschen ist der gewachsene traditionelle Blick, mit dem sie selbst als Kinder gesehen wurden. Den man aber verlassen kann, den man kritisieren kann, den man definieren kann: als "Adultismus". Ich bin da irgendwie geduldig. Man muss sie ihren Weg zu den Kindern gehen lassen. Und ab und zu etwas einbringen, einwerfen in diesen Prozess der Transformation und Diversifizierung.

Große Wirkung hat das nicht, schon klar. Aber ich habe mich bemüht, wie ich mir das so sage. Im Jahr 1980 habe ich die Rechte der Kinder aus der Sicht der emanzipatorischen Kinderechtsbewegung zusammengestellt und als Deutsches Kindermanifest proklamiert. In einer Präambel und 22 Artikeln. Die Präambel ist die Basis - und sie ist ganz woanders unterwegs als das, was da jetzt ins Grundgesetz aufgenommen werden soll.

Deutsches Kindermanifest, Präambel:
"Die Menschenrechte sind unteilbar. Kinder, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Jeder Mensch verfügt von Geburt an über die Fähigkeit der Selbstbestimmung. Das Selbstbestimungsrecht des jungen Menschen anzuerkennen und junge Menschen in der Ausübung dieses Rechtes zu unterstützen ist historische Verantwortung und Verpflichtung erwachsener Menschen. Jeder junge  Mensch muss ungeachtet seines Alters die Möglichkeit erhalten, von den Rechten, Privilegien und Verantwortlichkeiten erwachsener Menschen uneingeschränkt Gebrauch machen zu können."**

Das wichtigste Recht, das die Stellung der Kinder in der Gesellschaft revolutionär verändert, ist das politische Mitwirkungsrecht. Im Artikel 7 des Deutschen Kindermanifests heißt es schnörkellos: "Kinder haben das aktive und passive Wahlrecht."

Dazu schrieb ich damals:
"Das Wahlrecht ist ein fundamentales Recht. Es ist nicht erforderlich, Kindern zunächst andere Rechte einzuräumen, bevor man ihnen das Wahrecht zubilligt. Das Wahlrecht für Kinder ist aus dem Stand heraus realisierbar. Wurde in einer Revolution je gefragt, welche Rechte man erst haben muss, bevor man den König stürzt?  Die umgekehrte Reihenfolge ist richtig: Wenn das Wahlrecht da ist, d.h. wenn die politische Macht gegeben ist, werden weitere Diskriminierungen fallen."

Der Grundgesetzartikel 38 Absatz 2 lautet: "Wahlberechtig ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt."

Dieser Artikel ist zu ändern. "Kinder ins Grundgesetz" heißt für mich Grundgesetz Artikel 38 Absatz 2 (neu): "Wahlberechtigt und wählbar sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene; eine Einschränkung des Wahlrechts und der Wählbarkeit aufgrund des Alters gibt es nicht".

Was bedeutet das? Aus meiner Schrift: "Das Wahlrecht steht als politisches Persönlichkeitsrecht, als Menschenrecht jedem zu. Wann dieses Recht zur Anwendung kommt, wann man zur Wahl geht - darüber entscheidet jeder selbst, zu seiner Zeit. Der eine will mit 8 Jahren zur Wahl gehen, der andere mit 30 oder mit 80 Jahren. Sicher gehen nicht alle Achtjährigen zur Wahl und auch nicht alle Dreißigjährigen und nicht alle Achtzigjährigen, aber sie haben das Recht hierzu und könnten, wenn sie wollten, und niemand darf sie daran hindern. Darum geht es. Nur darum."

Kinderrechte ins Grundgesetz. Ja - und zwar das Wahlrecht, kurz und bündig.



* Zitiert aus dem Buch: Christiane Rochefort, Kinder, München 1977 (Frankreich 1976), S. 49 f.

** Die zitierten Passagen sind aus meiner Schrift "Kinder in der Demokratie", Münster 2001, S. 9., 11, 25, 31, 38 f. Die Schrift enthält eine ausführliche Darstellung und Begründung der Forderung nach dem uneingeschränkten Wahlrecht für Kinder und ein geduldiges Eingehen auf alle Einwände. Zu beziehen über den Freundschaft mit Kindern - Förderkreis e.V., www.amication.de, Literatur