Montag, 9. Dezember 2019

Die Burg







Sie ist weitergewandert: Vorige Woche habe ich DIE BURG von einem inzwischen größer gewordenem Kind zu zwei meiner kleineren Enkelkindern gebracht. Die Burg:

Vor dreißig Jahren hatte ich mir ein großes Projekt vorgenommen. Ich wollte für meine Kinder eine Burg aus Holz bauen, für die damals im Schwange befindlichen He-Man Figuren. Sie sollte entsprechend groß sein und mit vielen Finessen ausgestattet werden. Mit Geheimtüren, Geheimgängen, Verließen mit Ketten, Treppen, Aufzug zum Kurbeln, Falltür, Kellergewölben, Grotten, Königsbalkon, Leitern, Aufstiegsfalltreppe, Burgschließwänden zum Herablassen, Aussichtsturm, Wehrgängen, Schleichausgang, Maueraufstieg, Lastenlift, verschließbaren Spielfenstern: kurzum, mit allem, was das Herz begehrt. 

Das war ja erst mal nur eine Idee. Dann die erste Skizze. Grundmaße: 60 x 65 cm, Höhe bis 140. Dann die ersten Baupläne. Dann die ausgearbeiteten exakten Pläne mit den exakten Abmessungen, auf den Millimeter genau. Die ersten Schnitte beim Holzschnitt im Baumarkt. Die ersten Aufklebungen. Nachmessen, Pläne ändern. Die nächsten Schnitte, die nächsten Klebungen. Plankorrekturen... die Burg wuchs und wuchs. Und ich durfte keinen Planungsfehler machen, alles musste ja auf den Millimeter genau stimmen, sonst passte es nicht. Konzentration, Überblick, Ausdauer.

Das Ganze sollte ein Weihnachtsgeschenk werden, also Geheimsache, Bauen ging nur, wenn die Kinder nicht an Bord waren. Nachts ging gut. Zu Weihnachten war die Burg erst bis zur Burghofplattform fertig, der ganze Oberbau, Türme, Balkongang und Wehrgänge fehlten. Aber als Geschenk gab es schon was her, die Kinder waren begeistert. Ende Januar war sie dann fertig, die Burg.

Wieviel Energie stecke ich in einen Plan? In das Ausdenken? Ist so was realistisch? Will ich das überhaupt? Ist ja alles schön und gut, aber soll es was werden? Jenseits der Ideenwelt, in der realen Welt? Und wenn ja: wird das was? Kann das klappen? Ich habe immer wieder solche Pläne geschmiedet - und immer wieder auch welche verwirklicht. Erst ist so etwas nur ein Hauch, dann lichtet sich der Nebel, dann merke ich, dass ich über die Ideeschwelle gegangen bin und mich zur Realisierung aufgemacht habe. Und dann beginne ich. Erste Versuche. Und dann bin ich im Entschluss, im Sog, im "Das wird" und im "Das schaffst Du". Und dann bin ich im Machen, Improvisieren, Tüfteln, Ressourcen auftun, Rat holen, Helfen lassen - und im Tun, einfach im Tun. Verbesseren, umjustieren, weiterkommen. Die Zielform wird erkennbar. Und dann ist es geschafft! Noch hier und da verschönern, glätten, schmirgeln. Und: fertig!

Wieviel Zeit gebe ich meinen Projekten? Den großen und den kleinen? Wieviel Sorgfalt? Wieviel Unbedarftheit? Entschlossenheit? Zuversicht? Freude? Zufriedenheit? In Sachen Burg und in zig anderen Prokjekten, meinen großen und kleinen Lebensdingen?

In mein Leben überhaupt? Nein, da ist es anders: das Leben läuft einfach. Da plane ich nichts so Entschlossenens. Da gibt es Rahmen: dieses Fach will ich studieren, diese Wohnung will ich mieten, mit dieser Frau will ich leben. Aber es gibt keine Details. Doch die Energie und die Ausdauer und die Freude sind gleich. Wir entscheiden das ja - wo wir uns engagieren, was wir vorhaben. Es ist ja unsere Zeit und unser Leben. Die Burg war mein Ding - mein Leben ist es auch. 

Und gelegentlich oder immer wieder läuft es auch anders als gedacht. Studienwechsel, Umziehen, Partnerin geht oder ich gehe. Die Planerei wird blass und weicht dem Gang der Ereignisse. Bin ich dann noch der Chef? Meiner Zeit? Meiner Pfade? Meiner Vorhaben? Meines Lebens? Es wird mir auch aus der Hand genommen, dieses und jenes. Ich kann es dann nicht mehr steuern, und mein Chefgefühl zieht sich auf den Grund zurück: Ich bin. Ich bin, auch wenn es nicht so läuft wie gedacht und wie gewünscht. Dennoch bleibe ich der Grund, und gehe nicht im Sturm unter. Und wenn der sich gelegt hat, traue ich mich wieder hervor und komme auf neue Burgideen. Und wenn so eine Idee dann Wirklichkeit wird: dann ist es einfach schön und erfüllend. Es kommt aus der Liebe zu mir selbst. Will sagen: Die Burg bin ich - ich bin die Burg.