Montag, 23. September 2019

Scheune





"Beim Spielen mit den Gleichaltrigen war nichts außer Gleichwertigkeit. Wenn wir in der Scheune
balancierten: jeder auf seine Weise, mit mehr oder weniger Mut, aufrecht, robbend, sitzend, unter uns der gefährliche Bulle. Wir waren verschworen, solidarisch, von gleicher Art. Was immer wir anstellten. Und wir wussten um uns, wenn ein Erwachsener in unsere Welt einbrach, freundlich oder feindlich: er war anders, oben, maß uns das Unten zu. Aber er erreichte uns nicht wirklich, denn in unserem Land gab es kein Oben und kein Unten."

Das schrieb ich im Post vor anderthalb Jahren (11.4.18). Beim Online-Kongress letzte Woche erzählte ich wieder einmal von der Scheune. Diesmal aber sah ich mich als Erwachsenen, der zur Scheue kommt, die Tür öffnet und die Kinder auf den Balken und unten den Bullen sieht. Und ich sah die Kinder, die mich am Tor bemerkten, war selbst eins von ihnen oben auf dem Balken, und die ganze Situation verdichtete sich. Ich kramte sie hervor und wollte den Kongressteilnehmern deutlich machen, was es auf sich hat mit "auf gleicher Augenhöhe", mit "Gleichwertigkeit von Erwachsenen und Kindern", wie sich das verstehen und erfühlen lässt.

Das Beanspruchen der inneren Führung, das ist es, was für mich gar nicht geht. Wenn Erwachsene mir so etwas damals rüberreichten, konnte ich dem nichts offen entgegenhalten. Ich zog mich innerlich zurück und tat äußerlich, was erwartet wurde oder tat es nicht. Immer aber war ich innerlich groß, gab keinen Millimeter nach, auch wenn ich mich zurückzog. Meine Krone konnte mir niemand vom Kopf wischen. Da war ich bedeckt mit Drachenhaut, und zwar ohne Siegfriedlücke, unverwundbar. Wenn ein Erwachsener in die Scheune kam, hörten wir auf zu strahlen, wir zogen uns zurück. Äußerlich sowieso (kamen runter), aber vor allem innerlich, und versteckten unsere Souveränität. Wir wurden von Menschen zu Kindern.

Wenn Kinder sich erst zu richtigen Menschen - vollwertigen, volljährigen, selbstverantwortlichen Menschen - entwickeln werden. Wenn Erwachsene ihnen dabei helfen, zur Seite stehen, sie begleiten (einfühlsam, achtsam, behutsam, undundund), sie erziehen werden: Dann hat das zur Grundlage/Voraussetzung, dass sich die Kinder eben dorthin erst entwickeln werden. Was ich anders sehe, das mit der Grundlage und Voraussetzung. Ich sehe das so, dass junge und jüngste Menschen - Menschen von Geburt an - bereits vollwertig, volljährig, selbstverantwortlich sind und sie das nicht erst werden. Voller Informationen und Souveränität, jedes Neugeborene trägt das Wissen der Millionen Generationen vor ihm in sich.

Da muss nichts zugefügt werden. Da kann man bei zusehen, wie sich das in der HeutkonkretenWelt ausfaltet, entwickelt, wächst. Da kann man auch begleiten, helfen. Da kann man in Beziehung sein zu so einem Souverän, auch intervenieren, dazwischengehen, Weg versperren. So, wie wir Erwachsene das miteinander auch tun. Was ist daran nur so schwer zu verstehen? Was muss diese Missionsattitüde sich da als Grundgeräusch einstellen? Was soll das, was man Erziehung nennt?

Na ja, es liegt eben an dem anderen Blick auf die jungen Menschen. Homo-Educandus-Blick. Die jungen Menschen werden mit dem Homo-Educanus-Schild auf der Stirn gesehen, nicht mit der Königskrone. Schon klar. Und dass ich das eben anders sehe, auch schon klar.

Welchen Blick hat der Erwachsene, der in die Scheune kommt? Das Geräusch, das er beim Toröffnen macht, teilt uns oben auf dem Balken mit, wie er drauf ist. Es schwingt zu uns, und wir wissen sofort Bescheid und reagieren mit äußerem und innerem Rückzug. Ich sage im Kongress-Interview: Wenn ich das Scheunentor öffne, erkennen die Kinder am Geräusch, was für ein Mensch da kommt. Eben einer, der um die Volljährigkeit und Vollwertigkeit dieser Sechsjährigen weiß, der das sieht, der das vermittelt. "Das ist Hubi" ruft einer. Und sie leuchten weiter.

Ich werde gefragt, was ich denn konkret tue, wenn ich die Kinder beim Balancieren über dem gefährlichen Bullen sehe. "Kommt drauf an", sage ich, "wie ich drauf bin." Weites Feld. Immer aber ohne mich innerlich zum Erwachsenen zu machen, ohne die jungen Menschen zu Kindern zu machen. Konkret? Ja mei. Von "Gehts noch, kommt da runter" über "Passt bloß auf" zu "Ich mach mit" und "Wenn ihr fallt, passt auf, dass ihr dem Bullen nicht auf dem Kopf fallt". Und. Ernsthaft, scherzhaft. Und.

Jeder erkennt die Welt auf seine Weise. Ein Neugeborener auf seine Weise, ein Einjähriger auf seine Weise, ein Zweijähriger auf seine Weise, ein Dreijähriger auf seine Weise ... ein Zwanzigjähriger auf seine Weise, ein Dreißigjähriger auf seine Weise, ein Vierzigjähriger auf seine Weise ... ein Achtzigjähriger auf seine Weise, ein Neunzigjähriger auf seine Weise, ein Hundertjähriger auf seine Weise... Was ist daran so schwer zu verstehen?

Ein Mann auf seine Weise, eine Frau auf ihre Weise, ein Weißer auf seine Weise, ein Schwarzer auf seine Weise, ein Dicker auf seine Weise, ein Dünner auf seine Weise, ein Christ auf seine Weise, ein Muslim auf seine Weise, ein Kluger auf seine Weise, ein Dummer auf seine Weise, ein Autofahrer auf seine Weise, ein Fahrradfahrer auf seine Weise, und so weiter und so fort. Was ist daran so schwer zu verstehen?

Pädagogisch eingestellte/überzeugte/handelnde Menschen auf ihre Weise. Nichtpädagogisch (amicativ) eingestellte/überzeugte/handelnde Menschen auf ihre Weise. Fragt sich, wer man ist und sein will. Und je nachdem reagieren die anderen. Äußerlich. Innerlich. In der Scheune und anderswo.