Montag, 10. Dezember 2018

Entschuldige Dich!




  



"Entschuldige dich!" Welch Spruch. Eine Erzieherin erzählt von einem Streit der Kindergartenkinder. Sie nahm die Kinder auseinander, aber der Übeltäter hatte sich nicht entschuldigt. Sie ist ratlos, wie sie es schaffen kann, dass der Dreihjährige sich entschuldigt. Bemüht hatte sie sich, aber ohne Erfolg. "Das muss er doch." Auf mein fragendes Gesicht sagt sie: "Das erwarten doch die Eltern." Da hat sie recht. So wirds gespielt, Eltern erwarten so ein Sozialverhalten, der Kindergarten soll das richten.

Mein Mitgefühl ist sofort bei dem Übeltäter. Der gehänselte Junge wird siche Trost und Zuspruch bekommen haben, da muss ich nicht hinterherfühlen. Ich bin beim Täter. Seine Zicke, die er da gefahren hat (dem anderen was wegnehmen): es wird ihm schon klar sein, dass das nicht in Ordnung war. Das hat die Erzieherin rübergereicht. Wär das nicht genug gewesen? Jetzt auch noch entschuldigen?

"Sorry, tut mir leid" kommt mir gut über die Lippen. Nicht immer leicht, aber verläßlich. Wenn das, was grad passierte, wirklich auf meine Kappe ging. Es ist eine bizarre und absurde Vorstellung, dass sich da einer vor mir aufbaut und meine Entschuldigung einfordert. Sowas habe ich in meinem Erwachsenenleben auch noch nicht erlebt. Wiewohl ich weiß, dass das durchaus vorkommt.

"Entschuldige Dich!" - welche Übergriffigkeit. Wieso gibt es diese Wortkombination überhaupt? "Entschuldige bitte!", klar diese beiden Worte gehen und gehören dazu. Ich bin perplex über das, was die Erzieherin mir erzählt, aber ich weiß natürlich sofort, was da gespielt wird. Nur dass mir diese Alltagsanmaßung, diese 1001. Stückchen seelischer Kindermisshandlung, grad nicht geläufig war.

"Müssen Sie das wirklich?" Und unausgesprochen per Blick: "Dem Kind auferlegen, dass es sich entschuldigt?" Ich versuche, vorsichtig, meine Position ins Spiel zu bringen. Ich nehm Kontakt zu ihr auf: "Ich kann mir die Situation gut vorstellen, ich hab schon verstanden."
                    
Auf meinen Vorträgen will ich ja nicht lebensfremd und utopieverkündend erlebt werden, sondern als jemand, der umsetzbare, handfeste Anderswege aufzeigt. Diese Erzieherin schwingt ein. Sie hat den Jungen ja auch nach dem Auseinander und kurzen Warten, dass er sich entschuldigt, nicht weiter bedrängt. Nur: Das sollte sie aber, das wird von ihr erwartet. Und da weiß sie nicht, wie sie das machen soll. Sie sagt, sie will den Übeltäter nicht mit so einer Entschuldigungsgeschichte noch zusätzlich belasten. Er wird häufiger ausfallend und er tut ihr leid, ist ihr ans Herz gewachsen.

"Sie schauen vor Ort, was geht und was Sie können, gut können. Uhd wenn Sie den Jungen nicht zum Entschuldigen anhalten wollen, dann lassen Sie es eben. Sie sind dann nicht übergriffig, das ist doch super. Den Eltern können Sie ja sonstwas erzählen, wenn die Sprache darauf kommen sollte. Wahrscheinlich werden Sie eh nicht gefragt, es sind ja nur die Erwartungen in uns, die so belastend sind. Und falls doch, sagen Sie halt kurz: Ja, er hat sich entschuldigt. Kleine Lüge - großer Friede."

"Danke", sagt sie. Sie fühlt sich unterstützt. Ich denke, sie hat noch nie gehört, dass eine Erzieherin (pädagogische Fachkraft) so damit verfahren kann, darf, ja: sollte. "Sie folgen einfach ihrem Herzen. Das ist nicht nur wohltuend und befriedend, sondern auch höchst professionell. Rehumanisierung des pädagogischen Alltags nennt man das." Wir sind auf einer Wellenlänge.