Montag, 24. September 2018

Reden mit Jean-Jacques








In der aktuellen Ausgabe der ZEIT lese ich den Artikel von Bastian Berbner. Es geht um den anderen, der so ganz anders ist. Und ob es Sinn macht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Oder ob es eben keinen Sinn macht. Berbners Artikel ist überschrieben: "Mit euch kann man doch eh nicht reden." Und: "Vielleicht doch!"

Ich habe meine festen Positionen. Eine davon ist, Kinder nicht zu erziehen. Beziehung statt Erziehung, unterstützen statt erziehen, Postpädagogik, Amication. Macht es Sinn, mit Menschen zu reden, die Kinder erziehen? Was soll dabei rauskommen? "Kann das gelingen, ohne die eigene Haltung aufzugeben?" (Berbner).

Ich rede ja immer wieder mit Menschen, die erziehen. Zu meinen Vorträgen kommt selten jemand, der ein "Erziehung - nein danke!" mit sich herumträgt oder gar als Aufkleber auf seinem Auto hat. Trotzdem bin ich mit diesen erziehenden Menschen einen Abend lang zusammen, und wir reden miteinander.

Wobei da schon ein bestimmtes Momentum dabei ist: Ich frage die Eltern und Erzieher nicht nach ihren Erziehungspositionen. Da erwarte ich nichts Neues. Sie wollen von mir hören, wie das gehen soll, mit Kindern leben ohne Erziehung. Ich erzähle, sie hören zu, sie fragen, ich antworte. Ich frage sie nicht. Warum sollte ich? Ich kenne alle Erziehungsvarianten. Ein "Wie erziehst Du Dein Kind?" kommt mir nicht über die Lippen.

Mach ich aber schon gelegentlich. Jetzt frage ich Jean-Jacques. "Was soll das?" frage ich ihn. "Was meinst?" Ich lese ihm eins seiner Statements vor:

"Lasst ihn (den Zögling, H.v.S.) immer im Glauben, er sei der Meister, seid es in Wirklichkeit aber selbst. Es gibt keine vollkommenere Unterwerfung als die, der man der Schein der Freiheit zugesteht. So bezwingt man sogar seinen Willen...Zweifellos darf es (das Kind, H.v.S.) tun, was es will, aber es darf nur das wollen, von dem ihr wünscht, dass es es tut." *

"Jean-Jacques, da bin ich gänzlich anders unterwegs. Dieses subtile Ding, das da im Unter- und Hintergrund rauscht, genau das will und mache ich nicht."Antwort: "Und genau ohne das geht es nicht, Kinder brauchen Erziehung. Subtile Führung, liebevoll, achtsam, gewaltfrei. Wie immer sie denn auch konkret aussehen mag."
                       
Da gibt es keine Gemeinsamkeit. Immerhin: Ich verstehe, was er will. Was ich ablehne. Versteht er mich? Verstehen die Eltern und Erzieher mich?

Auf den Vorträgen lasse ich mit meiner Märchenerzählerei eine Welt entstehen, die die meisten Eltern und Erzieher, die da sind, fasziniert und in der sie gern unterwegs wären, von der sie mehr wissen wollen, von der sie nicht genug kriegen können. Beziehug ohne Erziehung eben. Aber so ein Abend ist schnell vorbei.

Und Jean-Jaques Rousseau, Jesper Juul, Thomas Gordon, Maria Montessori, Jasnusz Korczak, Alexander Neill und all die anderen? "Mit euch kann man doch eh nicht reden. Vielleicht  doch!" Vielleicht doch?


* Aus "Emile oder Über die Erziehung" von Jean-Jacques Rousseau, 1760. Zitiert aus Reclam UB 901, 1963/2001, S. 265f.