Klara (6) und Kolja (4)
sind zu Besuch. Alles läuft gut, doch dann will Kolja auch mal den
Leuchtstab haben, den Klara hat. Aus meiner Sicht berechtigt, Klara
spielt damit seit 10 Minuten. Koljas Bitte wird nachdrücklicher,
Klara rückt ihn nicht raus. Es kommt zum Streit. Lauter Streit,
Tränen.
Soll ich intervenieren? Das „Kolja ist jetzt auch
mal dran“ ist da, es ruft mich auf. Aber ich will das nicht von mir
aus tun. Fände ich irgendwie unpassend, unhöflich. So eine
Intervention sagt für meine Ohren im Subtext: „Ihr könnt Eure
Konflikte nicht allein lösen. Ihr seid da unzuverlässig. Nicht
vertrauenswürdig. Unfähig. Kinder eben, die das noch nicht können.“
Ich wäre die Ordnungsmacht. Meine Intervention käme mir übergriffig
vor.
Lasse ich die Kinder im Stich? Bin ich herzlos,
unsensibel? „Du kannst doch nicht einfach nur zusehen, wenn sie
sich streiten und nicht weiterwissen."“ Das hör ich schon.
Doch ich sehe nicht nur zu. Ich sehe zu ohne „nur“. Ich bin ja
da, und sie sehen mich. Ich schicke Freundliches, Anteilnahme. Ich
schicke keine Ungeduld, Vorwurf, Grummel. Und ich bin ja da, wenn sie
mich zu Hilfe rufen sollten. Und auch ein „Soll ich Euch helfen?“
ist schon viel zu viel Einmischen, stößt sie aus ihrer
Konzentration aufeinander.
Nein, ich trage ihren Streit, ihr
Geschrei, ihre Tränen. Ich ertrage sie nicht, ich trage sie. Und all
die vielen üblichen Möglichkeiten, die an mich heranwabern, schicke
ich weg, auch freundlich und gelassen. Möglichkeiten: Den weinenden
Kolja auf den Arm nehmen, Klara ins Gewissen reden, „Wenn ihr Euch
nicht einigt, verschwindet der Leuchtstab mal für eine Weile“,
Ablenkungsmanöver starten, sie rausholen aus der Situation („Wir
gehen jetzt in den Wald“), Thematisieren Streit und Gerechtigkeit,
usw.
Ich habe Geduld, krame in der Küche weiter rum. Klara
behält den Stab, aber auch sie hat Tränen in den Augen. Es wird
ruhiger, es wird still. Dann höre ich an ihren Stimmen, dass sie
sich nicht mehr Gram sind, sie verhandeln irgendetwas, dass nicht mit
dem Leuchtstab zu tun hat. Sie kommen zu mir, suchen meine Nähe, und
wir besprechen, ob wir rausgehen. Der Stab in Klaras Hand hält die
Klappe.
Einen Satz sage ich ihnen aber doch. Ich habe ihre
Gesichter beim Streit gesehen. „Wir tun etwas Ungehöriges.“
Beschämtsein, Schuldgefühl. Schnute, Blick auf den Boden. Ich sage
ihnen: „Bei mir könnt Ihr auch streiten. Das ist ok. Da gibt es
keine Schimpfe.“ Mir liegt daran, ein Pflaster zu kleben, ein
Trostbonbon zu geben, Sonnenstrahlen zu schicken.
Und ich
freue mich: Ich habe sie nicht aus ihrer Balance gestoßen, ich habe
ihre Souveränität nicht angetastet. Ich habe den Pfad ihrer Würde
nicht verlassen: „Auch wenn Ihr streitet und schreit und Tränen
fließen – Ihr seid Menschen mit einer Würdekrone.“ Ich weiß
aber auch, dass ich das nur kann, weil mich ihre Töne, Emotionen,
Kinderbotschaften, Signale aus meiner eigenen Kindheit nicht
verwirren, zum Intervenieren drängen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ich freue mich über Ihren Kommentar.