Auf dem Spielplatz habe ich sie vor
Augen, die Kinder. Ich bin mit meinem Enkel (4) dort, eine ganze
Weile. Die Kinder ringsum sind auch im Vorschulalter. Dann: Eine
Mutter will nach Hause, aber ihre Tochter nicht, Iris (3). Sie hat
neben uns mit Sandförmchen gespielt. Ich sehe hin und ich höre hin.
Schon Iris' erster Impuls auf die Botschaft ihrer Mutter war
eine klare Ansage: Iris will weiter im Sand spielen. Sie hat nichts
gesagt, nur kurz hoch und gleich wieder runter geblickt. Wortlos
dabei: "Ich will spielen, hier, mit dem Sand." Und: "Hier
ist es richtig, hier will ich sein, hier tut es gut, hier bin ich
eins mit mir und der Welt, hier ist meine Harmonie, hier bin ich,
Iris, zeitlos." Ich sehe ihre Würde, ihre Selbstkraft: "Ich
gehe diesen Weg, und ich will ihn gehen. Diesen Sandweg."
Sie
wird ihn nicht gehen können. Die Ungeduld ihrer Mutter wächst, die
Worte werden härter. Es braut sich Ungutes zusammen. Iris sagt noch
immer nichts, aber sie klammert sich an den Sandkörnern fest und
ruft sie um Hilfe. Sie ist sich ihres Weges sicher, sehr sicher, so
sicher. Es rührt mich an.
Ich interveniere nicht, habe kein
gutes Gefühl. Iris wird sich nicht mit mir gegen ihre Mutter wenden,
das ist nicht vorgesehen, ja absurd. Und führt zu Eskalation mit
Beschämung oder Demütigung von Iris.
Ich sehe zu meinem
Enkel. Auch er ist sich sicher, immer wieder sicher. Was seins ist.
Wohin sein Weg geht, gehen soll. Auch er hat diese Selbstkraft. Alle
Kinder haben diese Kraft.
"Ich kann meinen ersten Atemzug
selbst tun" - Leboyer hat diese Kraft erkannt. In der Amication
habe ich das so ausgedrückt: "Menschen sind
selbstverantwortlich von Anfang an" und "Jeder spürt
selbst, was für ihn da Beste ist". Das aber übersetzen in
Alltag - das wird unrealistisch. Man sieht sofort die Kinderfinger in
der Streckdose. Ja schon, aber: Übersetzungsfehler! So ist das nicht
zu lesen, dieses "Selbstverantwortlich von Anfang an".
Es
ist immer die Schwierigkeit, diesen zentralen Punkt der Amication
anderen Menschen nahezubringen. Die Steckdose aus der Assoziation
herauszubekommen. Den Blick des Nachdenkens, den inneren Blick von
der Alltagsmauer hin zur Innenwelt zu bekommen. Zu der Selbstkraft.
Zu der überwältigenden Energie, die ein Lebewesen - jedes
Lebewesen, Schmetterlinge, Tiger, Menschenkinder - in sich trägt:
Ich bin. Ich gehe diesen Weg. Und ich will diesen Weg
gehen.
Natürlich lassen sich Wege andersrichten, abbiegen,
umkehren, auflösen. Die ganze Wegewelt ist zauberbar. Wobei klar
ist: Ich - Schmetterling, Tiger, Menschenkind -
entscheide, will entscheiden. Wegändern: jeder nimmt einen anderen
Weg, wenn die Steine zu spitz sind. Und speziell Menschenkinder
folgen durchaus auch Wegvorschlägen und Wegänderungen, die sich
auftun, die an sie herangetragen werden, um die sie gebeten werden.
Die Selbstkraft - die Selbstverantwortung, das Ichgehöremir - ist ja
nicht blöd!
Ich finde diese Kraft grandios, sie ist so
einzigartig. Die Kinder sind dermaßen voll davon, dass es eine Wucht
und Freude ist. Aber... und da beginnt das traurige Desaster:
"Normale" Erwachsene (und wer ist das nicht?) haben keinen
Freudekontakt, keinen Achtungskontakt zu dieser Kraft. Sondern einen
Störkontakt. Dieser göttliche Funke wird in Steckdose und Co
übersetzt, das klare Licht wird gebrochen (am Leid der eigenen
Kindheit) und als Trotz und Ungehorsam gelesen.
Iris' Mutter
ist eine normale Mutter. Nach "achtsamen Eingehen"
(Hinhocken, Augenhöhe) auf ihr Sandkind ist dann klar, wie es
ausgeht. Iris stemmt sich gegen das Sandkastenbrett. Die Körpermacht
ihrer Mutter legt sich dabei auch mit Iris' Selbstkraft an. Da sind
zwei nicht passende Dimensionen im Konflikt. Natürlich ist die
Mutter stärker, sie hat Iris in den Kinderwagen "gesetzt".
Auf der Selbstkraftebene dröhnt es heftig. Da ist Iris einfach nur
"unkooperativ" bis "biestig".
Ich habe
mitbekommen, dass Iris' Mutter den Bruder vorn am Parkende, an der
Straße treffen will. "Ich kann auf Iris aufpassen, bis Sie
wieder da sind. Dann kann sie noch ein bisschen spielen. Ich bin mit
meinem Enkel hier und habe Zeit, das wäre kein Problem."
Erwachsenenwelt, Erwachsenensprech. Ich blicke dabei die Mutter und
dann auch Iris an. Ob das was wird? In der Erwachsenenwelt? In der
Kinderwelt?
"Willst Du mit dem Opa noch hierbleiben?"
Iris nickt, springt aus dem Kinderwagen und ihre Mutter lächelt mich
erleichtert an.