Montag, 25. August 2025

Wenn er darum weiß und sich auf neue Pfade begibt

 

 

Ich übertrage das rassistische Wort und den rassistischen Inhalt „Neger“ auf das adultistische Wort und den adultistischen Inhalt „Kinder“. Hallo! Es sind Menschen – keine Neger! Hallo! Es sind Menschen – keine Kinder!

Die ganze große Diversitätsdebatte zeigt die verschiedensten Ecken und Winkel, in denen Menschen auf gleichwertige Beachtung und Behandlung warten. Junge Menschen sind da eine Gruppe von vielen, die nicht aus ihrer eigenen Welt heraus wahrgenommen werden. Sondern aus der Welt, der Sicht und dem Handlungsgeschehen der Anderen, aus den Fremdzuschreibungen der Erwachsenen-Dominanzgesellschaft. Was Adultismus genannt wird und was ich seit 1980 in meinen Publikationen so benannt habe.

Adultistische Diskriminierung gibt es überall. Im familiären Bereich, im Bildungsbereich, im Freizeitbereich, bei Polizei, Justiz, Standesämtern, auf dem Wohnungsmarkt. Adultistische Erfahrungen gehören für junge Menschen zum Alltag und ist gesellschaftlich tief verankert.

Was lässt sich tun?

Wichtig sind adultismusfreie Fakultäten und Lehrstühle an den Hochschulen und entsprechende Forschungen, Nötig sind Adultismus-Beschwerdestellen und Adultismus-Beauftragte in Stadt, Land und Bund. Ebenso brauchen wir eine adultismussensible Aus- und Weiterbildung aller Fachkräfte in Kindergarten, Schule und Verwaltung. Wir brauchen die Entwicklung von Diversitätskonzepten im Kommunikations- und Handlungsbereich von erwachsenen und jungen Menschen.

In dem Forschungsprojekt meiner Doktorarbeit hatte ich mich zu den jungen Menschen jenseits adultistischer Positionen und Befindlichkeiten aufgemacht. Ich bin diesen Menschen in ihrer eigenen Weltsicht und ihrer eigenen Identität begegnet und habe mit ihnen so gelebt. Wie ein Weißer das heute mit einem Schwarzen hinbekommen kann, wenn und soweit er sich vom eingeimpften, sozialisierten Rassismus löst, zu lösen beginnt. Wenn er darum weiß und sich auf neue Pfade begibt.









 

Montag, 18. August 2025

Es gibt Montag diesen einmaligen Geruch


 

Er nahm den Zollstock und die Wasserwaage, kniete sich hin und maß nach. Maß nochmal nach, und nochmal. Stand auf und schaute zum Kollegen im Bagger, dem mit der großen Flachschaufel. Er machte ein Zeichen mit der Hand und trat zur Seite.

Der Baggerfahrer verstand die Handbewegung und fuhr ein bisschen nach links, setze die große Schaufel vorsichtig auf und zog zentimetergenau die dunkle Straßenerde nach hinten, in die Schaufel hinein, hob dann die Schaufel, fuhr ein Stück zurück, dann zur Seite und kippte die aufgeschrabbte Erde ab. Er, der Bauarbeiter, trat wieder vor, hockte sich hin, nahm Zollstock und Wasserwaage und maß nach. Aufrichten, Blickkontakt, Daumen nach oben, jetzt stimmte es.

Ich habe Yann (4) und Johann (2) von der Kita abgeholt und wir sind mal wieder zur großen Straßenbaustelle gewandert. Hier gibt es immer was zu sehen. Heute wird der Straßenuntergrund geglättet, bevor in ein paar Tagen die Asphaltmaschine drankommt. Es ist mitten auf der Straße in Längsrichtung eine Schnur gespannt, vorn eine Stange im Boden, hinten eine Stange in den Boden. Die Schnur zeigt die Höhe der demnächst aufzutragenden Asphaltdecke an.

Vom Straßenuntergrund bis zur Schnur (später: Asphaltdecke) müssen es exakt 15 Zentimeter sein, und zwar die ganze Straßenbreite über. Der Mann vor uns misst von der Schnur aus, hält die Wasserwaage von der Schnur zum Zollstock. Und er misst auch vom Bordstein aus. Er wirft uns einen Blick zu. Später kriegen wir mit, dass er Ivo heißt.

Ich bin fasziniert über diese exakte Handarbeit der beiden Männer. Der Baggerfahrer bewegt den Steuerknüppel in Millimeterbewegungen in alle Richtungen, und die große Schaufel und die Räder, das ganze Riesenfahrzeug antworten filigran. Große Sorgfalt und große Lässigkeit.

Da fahre ich auf einer Straße einfach so dahin, tagtäglich, und denke mir nichts dabei. Aber was für ein grandioser Hintergrund! Wie viele Gedanken, Überlegungen, Bemühen, Zufriedenheit, Einverständnis, Freude, große Pläne, kleine Pläne, Pläne bis ins Detail zu Schnur, Zollstock, Wasserwaage, Stangen, Steuerknüppel, kurzer Blick, zur Seite treten, wieder vorgehen, hinhocken, anfahren, zurückfahren. Dann kommt der Baggerführer runter und sie reden kurz und lachen, dann geht es weiter.

Mein Blick wandert, ich bin aufgeweckt worden, wach für das, was so eine Straße alles in sich birgt. 200 Meter weiter: Jeder der Bordsteine vor uns wird penibel ausgerichtet, Schnur dabei, besondere Bordsteinzange, gepolsterter Steinhammer zum Justieren, Steinsäge für den Passstein. Dann kommt auf der Schulter das Spezialbetonpulver heran, Papiersack abgelegt, Löcher mit dem Hammerstiel rein, Sack aufgerissen, Betonpulver mit der Hand und ohne Handschuh rasch und gekonnt an die Bordsteinwand gehäufelt, geglättet.

 Muss da nicht Wasser drauf?“ Ich stelle Kontakt her. „Mache ich gleich“, und er holt hinter dem Stapel eine Gießkanne vor, grün, wie für den Garten. Wasser drauf, auch die Bordsteinkante wird schön sauber abgespült, mehrmals, wirklich sauber. Wasser nachholen vom Kran 200 m vorn. Wieso haben die keinen Schlauch gelegt? Meine stille Frage. Und meine stille Antwort: Haben sie eben nicht. Stör nicht ihre Kreise. Du siehst doch, in welcher Stimmigkeit, ja Harmonie sie unterwegs sind. Also nochmal Wasser drauf. „Gute Arbeit!“ „Ja immer!“ Es ist eine Zeremonie, ein heilig Tun.

Ivo: „Willst Du mitmachen?“ „Nein", sagt Yann, „das habe ich doch nicht gelernt.“ Sie quatschen ein bisschen. Und wir sind nicht allein. Neben uns ist ein Vater, der seine Tochter auch auf die Absperrung gesetzt hat: „Montag kommt die Asphaltmaschine, das wird interessant.“ „Interessant ist das alles, was hier täglich passiert“, sagt die Oma hinter mir, Enkel auf dem Arm, „der will gar nicht mehr weg.“ „Es gibt Montag diesen einmaligen Geruch“ sage ich, „den vergessen die Kinder ihr Leben nicht.“

So viele kleine Sequenzen, kleine Ereignisse, kleine Erlebnisse, heute, hier beim Straßenbau. Wann bin ich offen für diese unendliche Vielfalt um mich herum? Ich düse normalerweise so durch den Tag. Aber ab und zu komme ich in diesen besonderen Modus. Dann sehe ich alles mit der Lebenslupe. Wenn ich im Wald bei der Gymnastik das gelbe Herbstblatt neben meinem Fuß sehe und es nicht übersehe. Wenn ich die drei Schritte des Nachbarn zu seiner Garagentür sehe und sie nicht übersehe. Wenn ich die Quittung in der Hand der Kassiererin sehe – „Wollen Sie die Quittung?“ – und sie nicht übersehe, sondern die Zeit anhalte. „Wollen Sie die Quittung?“ Worte, einfach so gesprochen in den Strom der Zeit. Ich habe sie gespeichert für die Ewigkeit.




 

Montag, 4. August 2025

So einen Zauberstaub Frohgemut würde ich doch ganz gern über sie alle ausschütten

 


 

Wir haben es ja in der Hand und im Herzen, wie wir durch den Tag gehen. „Frohgemut“ ist eine von vielen Möglichkeiten.* Und wenn ich es mir recht überlege, gefällt mir frohgemut gut, sehr gut. Und ich bin immer so unterwegs, mit den gelegentlichen unausweichlichen Wolken und Gewittern.

Kinder? Die sind so: frohgemut. Bis auf die Ausnahmen. Aber mal als Grundlage gesehen. Um die nichtfröhlichen, traurigen, verstörten, verletzten Kinder kümmere ich mich, wenn es anliegt. Aber im allgemeinen, in meiner realen Welt (nicht im Erdbebenland und Kriegsland und Guselland) erlebe ich die Kinder als unbekümmert und fröhlich.

Doch vor Ort: Es ist so viel Bekümmernis in der Erwachsenenwelt ringsum. Alle haben hier und da etwas und dies und das zu ertragen, sind belastet, überanstrengt, angefasst, irgendwie einfach nicht frohgemut. Das ist keine gute Stimmung! Und eigentlich nichts, wo ich gern unterwegs bin. Nur: es gibt ja keine anderen Erwachsenen als die, die ich wahrnehme. Und deren Grundstimmung.

In den einzelnen Begegnungen ist das dann gerne anderes. Da sind sie, wenn wir miteinander reden, eigentlich gut drauf. Na ja, denke ich, ich rufe mit meinem Frohgemüt ja auch diese fröhliche Sonnenseite von ihnen ab. Da kommen sie mir nicht mit Belastung. Aber wirklich frohgemut? Sind sie nicht. Bis auf meine Lieblingsmenschen, und davon gibt es dann auch wieder einige. Also kein Grund zur Panik.

So einen Zauberstaub Frohgemut würde ich doch ganz gern über sie alle ausschütten. „Das wird schon“, „Das kriegen wir hin“ – diese Sprüche sind edel. Warum so nieder, down, trübgemut? Na ja, darum eben. Was heißt: All der ganze Schlamassel – Klima, Kriege, Flüchtlinge, Neonazis, Missbrauchsopfer, Insektensterben, Trump, Putin, Ebola, Tausend. Ist schon klar. Aber!

Aber das muss mich ja nicht im Griff haben! Ich lasse mir doch von so etwas nicht die Stimmung verderben! Ich jedenfalls nicht. Lass ich die ganzen vollgruseligen Ungeheuerlichkeiten in mein Lebensgefühl einbrechen? Ich hebe die flache Hand und halte sie diesem schwarzen Pestgerangel entgegen: „Schon gut, ich übersehe euch ja nicht, aber jetzt und hier habt ihr nichts zu suchen. Abgang!“ Lässig und entschlossen schiebe ich das alles weg und wende mich – frohgemut – dem Tag zu. Und der Nacht.

Und wenn ich hundert Jahre alt werde, sind das immerhin 100x365 Tage, also mehr als 36tausend Tage und Nächte. Da mische ich aber so was im Grundton mit: Frohgemut eben. So soll es sein, suche ich mir aus, halte ich mich dran, liebe ich und lebe ich.

 

*  Was sagt der Duden zu frohgemut? Er sagt: aufgeräumt, fidel, freudig, fröhlich, glücklich, gut gelaunt, heiter, lebenslustig, lustig, obenauf, selig, sonnig, stillvergnügt, strahlend, überglücklich, unbekümmert, unbeschwert, vergnügt