Zunächst das Jahr 1900. Es gibt eine Konferenz zur weiblichen Entwicklung. Die (männlichen) Experten tragen vor, diskutieren, machen Vorschläge, erarbeiten eine Resolution. Die Männer sind in ihrem Element.
Plötzlich Unruhe, Lärm, Getöse. Die Frauen haben mitbekommen, was da passiert. Sie sind empört. „Ihr wisst, was für unsere Entwicklung gut ist?“ Die Anmaßung der Männer macht sie wütend. Sie treten die Türen ein, vertreiben die Männer. „Wir wissen selbst, was für uns und unsere Entwicklung gut ist.“
Hundert Jahre später gibt es eine Konferenz zur kindlichen Entwicklung. Die (erwachsenen) Experten tragen vor, diskutieren, machen Vorschläge, erarbeiten eine Resolution. Die Erwachsenen sind in ihrem Element.
Unruhe, Lärm und Getöse kommen diesmal von innen. Ich nehme an der Konferenz teil und bin an der Reihe, meine Sicht darzustellen. Ich sage zur Verblüffung der versammelten Fachleute: „Ich bin nicht befugt, mir über die Entwicklung junger Menschen derartige Gedanken zu machen, wie sie hier gepflegt werden und Standard sind.“
„Gedanken, die Kinder zu Objekten unseres Nachdenkens machen und die uns über sie stellen. So etwas verletzt und depersonalisiert, auch wenn es in bester Absicht geschieht. Es ist unwürdig und herabsetzend. Es entkernt ihre Menschenwürde.“
„Außerdem: Wenn wir objektiv expertenhaft und nicht subjektiv und persönlich über Kinder nachdenken, ist das unwissenschaftlich! Denn jede Wissenschaft muss dem entsprechen, was sie untersucht. Und unsere Gegenüber sind Personen, keine Gegenstände und rein physikalische Dinge. Also müssen unsere Maßstäbe und Parameter nicht sachlich und objektiv sein, sondern personal und subjektiv!“
Ich stelle die „objektiven“ Grundlagen von Pädagogik und Psychologie in Frage und werde deutlich: „Es ist unangemessen und unwissenschaftlich, die kindliche Entwicklung mit objektiver Perspektive zu betrachten. Kinder sind nun einmal keine Sachen. Genau so wie es unangemessen und unwissenschaftlich ist, die Gefühle des Autos beim Bremsen zu untersuchen: Denn Autos sind Sachen und keine Personen.“
Nach diesem Vergleich wird es laut im Auditorium. Ich lasse mich nicht beeindrucken. „Wären wir klassische Mediziner, wäre das anders. Dann ginge es um den Körper und seine physikalischen Vorgänge. Die wissenschaftlichen Maßstäbe sind dort sachlich und unpersönlich. Hier geht es aber um die Personalität und Würde junger Menschen.“
„Und überhaupt ist diese Konferenz genauso chauvinistisch wie damals, als die Männer über die weibliche Entwicklung nachdachten: Oben-Unten-Struktur. So etwas ist adultistisch. Die Konferenz sollte aufgelöst werden!“
In dem folgenden Tumult verlasse ich die Konferenz und höre, wie die Kinder die Türen eintreten...