Montag, 9. November 2020

Kunst im Wald

 


Wir sind im Wald. Klara (6) und Kolja (4) legen gelbe Blätter auf dem Waldboden zu Linien und Kreisen, sie malen mit den Herbstblättern. Es sieht nicht nach Natur aus sondern nach Kultur. Nach Kunst. Kunst im Wald.

Die Kinder spielen. Ist Kunst Spielen, verspielt? Ich habe immer mitbekommen, dass Kunst mit einem hohen Anspruch daherkommt. Picasso, Rembrandt, Beethoven, Mozart - das ist Hochkultur, Kunst. Die Wasserfarbenbilder der Kinder, das Graffiti an der Mülltonne: das ist keine Kunst.

Wie relativ darf es sein in der Kunst? Wann kommt der Kitsch um die Ecke? Wann der Unsinn? Woran lässt sich erkennen, ob es Kunst ist oder nicht? An den Unis wird Kunst gelehrt, es gibt Kunstschmiede und Kunsthandwerk, Kunsthonig und Kunstseide. Es gibt Künstler und gekünstelte Sprache, Kunstauktionen und Kunstfälscher. "Ist doch keine Kunst" und "Jeder Mensch ist ein Künstler".

Was soll ich davon halten? Von dem ganzen Tamtam, der um die Kunst gemacht wird? Es nervt mich, wenn irgendein objektiver Anspruch im Spiel ist, sowieso, aber auch bei der Kunst. Im Kunstunterricht in der Schule bekam ich für ein Bild nur eine Drei, und dabei fand ich mein Bild super und voller Ideen. Spinnt er, der Kunstlehrer? Sein Sohn war in meiner Klasse und bekam für alles, was er ablieferte, eine Eins, immer! Da ging ich auf Distanz zur Kunst.

Das war doch alles eine absurde abgekartete Sache, irgendwelche Schriftgelehrten legten fest, was Kunst ist und was es eben nicht ist. Kirchenfenster, documenta, Mona Lisa: Ja was denn nun? Kunst ist offensichtlich Kunst. Da weiß man Bescheid, und die Herren und Damen Künstler sowieso.

Echt jetzt, da soll er doch malen. Oder dichten. Oder komponieren, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Als sein eigener Meister. Und dann kann er mir zeigen oder vorführen, was Sache ist. Gefällt mir, oder nicht. Und fertig. Was soll das Gelaber von "Kunst" dabei?

Ich finde das seltsam übergriffig, wenn jemand seine gebastelten Dinge als Kunst rüberbringt. Mit einem hohen Anspruch versieht. Wenn sie in Altamira ihre Tierchen an die Wand bringen: Ist ihr gutes Recht, sind ihre Erinnerungen, Visionen, Botschaften. Das kann ich respektieren, so wie ich den Menschen respektiere und achte, der damit unterwegs war. Aber in Ehrfurcht erstarren? Da macht jemand sein Ding. Gefällt mir, Beifall klatschen und staunen. Oder gefällt mir eben nicht.

Wie immer bin ich auch in Sachen Kunst mein eigener Chef und lass mich nicht ins Bockshorn jagen. Es ist in der Kunst so wie sonst auch: Entweder spielt sich das alles in einem Oben-Unten-Raum ab mit objektiven Maßstäben. Oder es bleibt in der postmodernen Welt, in der nichts über dem anderen steht und alles gleichwertig ist. Mit subjektiven Vorlieben und Unlieben.

Klar ist der eine geschickter mit der Hand und dem Kopf als der andere. Und wenn es mir gefällt, hör ich gern zu und seh ich gern zu. Ich mag klassische Musik, impressionistische Bilder, Blätter auf dem Waldboden. "Spiel mit mir" sagen die Töne, die Farben, die Blätter. Es ist ein leichtes und heiteres Geschehen. "Mach mit" rufe ich der Kunst zu, und sie atmet durch und läuft erleichtert auf mich zu. "Du erstarrst nicht in Ehrfurcht vor mir?" "Nein", sage ich. "Endlich" antwortet sie. "Na klar doch", sage ich, "und was machen wir heute?"