Wir sind im Wald. Klara
(6) und Kolja (4) legen gelbe Blätter auf dem Waldboden zu Linien
und Kreisen, sie malen mit den Herbstblättern. Es sieht nicht nach
Natur aus sondern nach Kultur. Nach Kunst. Kunst im Wald.
Die
Kinder spielen. Ist Kunst Spielen, verspielt? Ich habe immer
mitbekommen, dass Kunst mit einem hohen Anspruch daherkommt. Picasso,
Rembrandt, Beethoven, Mozart - das ist Hochkultur, Kunst. Die
Wasserfarbenbilder der Kinder, das Graffiti an der Mülltonne: das
ist keine Kunst.
Wie relativ darf es sein in der Kunst? Wann
kommt der Kitsch um die Ecke? Wann der Unsinn? Woran lässt sich
erkennen, ob es Kunst ist oder nicht? An den Unis wird Kunst gelehrt,
es gibt Kunstschmiede und Kunsthandwerk, Kunsthonig und Kunstseide.
Es gibt Künstler und gekünstelte Sprache, Kunstauktionen und
Kunstfälscher. "Ist doch keine Kunst" und "Jeder
Mensch ist ein Künstler".
Was soll ich davon halten? Von
dem ganzen Tamtam, der um die Kunst gemacht wird? Es nervt mich, wenn
irgendein objektiver Anspruch im Spiel ist, sowieso, aber auch bei
der Kunst. Im Kunstunterricht in der Schule bekam ich für ein Bild
nur eine Drei, und dabei fand ich mein Bild super und voller Ideen.
Spinnt er, der Kunstlehrer? Sein Sohn war in meiner Klasse und bekam
für alles, was er ablieferte, eine Eins, immer! Da ging ich auf
Distanz zur Kunst.
Das war doch alles eine absurde abgekartete
Sache, irgendwelche Schriftgelehrten legten fest, was Kunst ist und
was es eben nicht ist. Kirchenfenster, documenta, Mona Lisa: Ja was
denn nun? Kunst ist offensichtlich Kunst. Da weiß man Bescheid, und
die Herren und Damen Künstler sowieso.
Echt jetzt, da soll er
doch malen. Oder dichten. Oder komponieren, wie ihm der Schnabel
gewachsen ist. Als sein eigener Meister. Und dann kann er mir zeigen
oder vorführen, was Sache ist. Gefällt mir, oder nicht. Und fertig.
Was soll das Gelaber von "Kunst" dabei?
Ich finde
das seltsam übergriffig, wenn jemand seine gebastelten Dinge als
Kunst rüberbringt. Mit einem hohen Anspruch versieht. Wenn sie in
Altamira ihre Tierchen an die Wand bringen: Ist ihr gutes Recht, sind
ihre Erinnerungen, Visionen, Botschaften. Das kann ich respektieren,
so wie ich den Menschen respektiere und achte, der damit unterwegs
war. Aber in Ehrfurcht erstarren? Da macht jemand sein Ding. Gefällt
mir, Beifall klatschen und staunen. Oder gefällt mir eben nicht.
Wie immer bin ich auch in Sachen Kunst mein eigener Chef und
lass mich nicht ins Bockshorn jagen. Es ist in der Kunst so wie sonst
auch: Entweder spielt sich das alles in einem Oben-Unten-Raum ab
mit objektiven Maßstäben. Oder es bleibt in der postmodernen Welt,
in der nichts über dem anderen steht und alles gleichwertig ist. Mit
subjektiven Vorlieben und Unlieben.
Klar ist der eine
geschickter mit der Hand und dem Kopf als der andere. Und wenn es mir
gefällt, hör ich gern zu und seh ich gern zu. Ich mag klassische
Musik, impressionistische Bilder, Blätter auf dem Waldboden. "Spiel
mit mir" sagen die Töne, die Farben, die Blätter. Es ist ein
leichtes und heiteres Geschehen. "Mach mit" rufe ich der
Kunst zu, und sie atmet durch und läuft erleichtert auf mich zu.
"Du erstarrst nicht in Ehrfurcht vor mir?" "Nein", sage ich. "Endlich" antwortet sie. "Na klar doch", sage
ich, "und was machen wir heute?"