Ich bin in den Sommerferien, der nächste Post kommt Mitte September. Habt alle eine schöne Zeit!  
Montag, 11. Juli 2022
Montag, 4. Juli 2022
Wenn Du lügst...
                         
"Wie oft lügst Du am Tag?" Mich hat die Frage überrascht. Nicht wegen 
des Fragers, sondern wegen der Frage. Man lügt doch überhaupt nicht oft.
 Und schon gar nicht mehrmals am Tag - was so eine Frage ja impliziert. 
Jedenfalls dachte ich das. Dass nur selten gelogen wird. Aber der Frager
 hat ja wohl was anderes vor Augen.
"Überhaupt nicht", sage ich. "Vielleicht einmal in 10 Jahren". Oder auch
 öfter? Ich denke nach, finde aber nichts. Na ja, vielleicht blende ich 
da ja auch was aus. Egal. Aber ich nehme die Frage auf und sinn drüber 
nach. Wie ist das mit der Lügerei? 
Wer das tut, tun will, tun muss - sein Ding. Sogar sein gutes Recht. 
Gehört jemand die Wahrheit? Wir gehören uns selbst, und damit ist es 
auch unser Ding, wie wir mit der Wahrheit umgehen wollen. Und da gibt es
 eben Kleinlüger, Großlüger, Seltenlüger, Viellüger, Lügenbolde. Da ist 
nichts zu verurteilen. Sowas findet statt. Es will natürlich damit 
umgegangen sein.
Wie geht der Lügende damit um? Schlechtes Gewissen? Gutes Gewissen? Aus 
der Not heraus. Aus der Bestimmerei heraus. Wegen des Vorteils. Wegen 
der Beschämung. Wegen der Angst. Wegen der Verachtung. Wegen des 
Schmerzes. Wegen der Sehnsucht. Wegen der Liebe. Wegen viel. Die Wegens 
können edel, weniger edel oder gar nicht edel sein.
Ich mag hier im Nachdenken das Wort Lügner nicht, es ist so ungut 
besetzt, und ich bin nicht im Unguten, wenn ich über jemanden nachdenke,
 der lügt. Deswegen sage ich "Lügender". Ich schwinge nicht ins 
Verurteilen, ich schwinge ins Verständnishaben. Nicht, weil ich viel 
lüge, tu ich nicht. Sondern weil ich das für angemessen halte. Wer lügt,
 zettelt etwas Gutes an - klar, für sich. Die Lüge ist ein Geschöpf des 
Guten, der Liebe. Die man sich selbst gibt. Die einem zusteht.
Dass dies Leid und Ungutes bewirken kann, eher: wird, bleibt mir ja 
dabei nicht verborgen. Ich vergesse aber nicht die Quelle der Lüge. So 
wie mir auch das Leid der Kuh nicht verborgen bleibt, die ich töte, um 
zu essen. Ich töte wegen meines Vorteils, ich lüge wegen meines 
Vorteils. Durchs Leben gehen und meine Vorteile realisieren, finde ich 
richtig, und anders geht es nicht. Geht es doch? Ohne Töten kein Leben. 
Ohne Lügen kein - ja was? Ohne Lügen kein Leben. Lässt sich das 
vergleichen, übertragen?
Mit Lügen kein Leid - auf meiner Seite. Wohl Leid auf Deiner Seite. Ist 
das einfach nur dem Egoismus das Wort geredet? Egoismus passt beim Töten
 der Kuh nicht, da gilt so etwas wie unabdingbar, nötig, wenn ich nicht 
esse, sterbe ich. Beim Lügen gilt anderes? Seh ich nicht so. Wenn die 
Lüge nicht unabdingbar, nötig wäre, würde sie ja nicht kommen. Dann wird
 die Wahrheit gesagt. So einfach ist das!
Und wie geht es mir, wenn ich herausfinde, dass ich angelogen wurde? Ganz klar: Ich gehe nicht
 durch das Verurteilungs-Tor und tummele mich nicht auf dem dunklen Feld
 dahinter mit all den zugehörigen Seltsamkeiten: Schuldzuweisung, 
Empörung, Beleidigtsein, Runterputzen, Enttäuschung, Ärger, Groll, Wut, 
Hass, ach was weiß ich. Tore, die ins Dunkle führen, mag ich sowieso 
nicht, und sie liegen mir nicht.
Also: was ist, wenn ich angelogen wurde? Da bleib ich cool. Erst mal 
"nehm ich zur Kenntnis" (wie das so schön neutral heißt), dass es anders
 ist als bis grad noch gedacht. Ich korrigiere meine Wirklichkeit, 
sortier das um. Mir ist sofort klar, dass die Lügerei nicht grundlos 
stattgefunden hat, dazu fließt ein Nachsehen (seh Dir das nach). Und 
eine Freundlichkeit, weil ich denke, dass es dem Lügenden nicht gut 
geht. Wenn es ihm bei seiner Lügerei gut geht: auch gut. Mich regt das 
alles jedenfalls nicht auf. Ich frag mich zügig, wie es weitergeht. Mit 
der neuen Information, die jetzt als neue Wahrheit neben die alte 
Wahrheit tritt, die ja eine Nicht-Wahrheit sein soll, Lüge eben.
Will ich weiter mit dem Menschen zu tun haben, der mich angelogen hat? 
Das will gut bedacht sein. Ich mache ja keinen Vorwurf, nur die 
Verlässlichkeit ist angekratzt oder weg. Mein Vertrauen, von Dir die 
Wahrheit zu bekommen, ist beschädigt. Es kommt ganz drauf an, wie meine 
Beziehung zu Dir überhaupt ist. Wie viel mich Deine Unwahrheit nervt, Du
 mich nervst. Vielleicht instrumentalisiere ich Deine Lüge (nicht 
bewusst, aber passiert): sie kommt mir recht, weil ich meine Beziehung 
zu Dir eh runterfahren will. Da ist dann kein Ärger, sondern Abwendung, 
keine Lust auf sowas, keine Lust auf Lügenmärchen.
Ja, oder es macht mir eben nichts aus, ich seh Deine Not oder 
Unverfrohrenheit, Deine Sorge, dass ich Dirs übelnehme und weggehe. Wenn
 ich Dich genug mag, lass ich mich von Deinen Lügenmärchen nicht 
wegspülen. So bist Du halt. Jetzt grad mal. Oder auch öfter. Es ist 
schon mein Job, auf Deine Lüge zu reagieren, den mach ich dann auch. Ich
 freu mich über Dich, auch über Deine Lügenmärchen: so kanns schon 
kommen. Wenn es nicht überhand nimmt und die Frage hervorbringt: "Wie 
oft am Tag... 

 
