Montag, 9. Dezember 2024

Saint-Exupéry: Fuchs und Rose, Teil I




"Du bist für das verantwortlich, was Du Dir vertraut gemacht hast." Es geht im Buch "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry um die Rose, und der Fuchs sagt dem Kleinen Prinzen diesen Satz. Den er sich merken will.

Wenn ich mit etwas oder mit jemandem zu tun habe - entsteht daraus eine Verantwortung? Der Satz aus dem Buch von Saint-Exupéry ist mir neulich wieder begegnet. Ich kenne ihn, und ich erlebe dabei ein süßes Gift. "Ja, stimmt" ist eine wohlige und süße Reaktion. Verantwortlich für jemanden sein fühlt sich gut an - für den Verantwortlichen, den Prinzen. Er kann ein guter Kümmerer sein. Und auch für die verantwortungsbedachte Rose fühlt es sich gut an, sie kann sich geborgen fühlen. Beide sind ein gutes Paar, sie passen zueinander: Er sorgt sich, sie fühlt sich bedacht.

Aber. Für mich hat das ganze Szenario keinen guten Grund. Da schwingt etwas mit, das für mich einfach nicht geht. Es ist verdeckt, tritt nicht deutlich hervor, dieses Ungute. Die Süßigkeit dieses Statements und die Welt, in die dieser Satz einführt, sind ungut. Wohlig, aber ungut, süßes Gift eben.

Der Satz hat Lähmendes. Er macht unfrei, enthält Fesseln. Die zu merken schwer fällt, die abzulegen erst recht schwer fällt. Der Satz kommt mit einer riesigen selbstgewissen Macht des Richtigen daher, mit einer Großmoral. Es fallen mir sofort Babys ein - da geht mir bei diesem Satz das Herz auf: Ja, ich habe es mir vertraut gemacht und bin für das Baby verantwortlich. Das stimmt doch - wo ist das Aber?

Die ganze geistige Welt unserer Kultur und Tradition stehen hinter diesem Satz. Ja - und genau das ist das Problem. Die Kultur, die diesen Satz hervorbringt und auf die dieser Satz gebaut ist, ist von einem Klang der Macht erfüllt. Von jemandem, der bestimmt, wo es lang geht. Der das nicht nur für sich bestimmt, sondern der das auch für andere bestimmt. Wie gehabt: Mensch über Natur, Mann über Frau, Weiß über Schwarz, Erwachsener über Kind. Hier dann: Prinz über Rose,

"Ich bin für Dich verantwortlich" (weil ich Dich mir vertraut gemacht habe) setzt mich über Dich. Es ist das Stückchen mehr als das "Ich kümmere mich um Dich, ich sorge für Dich" und noch viel mehr als das "Ich liebe Dich". Verantwortlichsein gibt mir Legitimation. Neben dem ganzen Pflichtszenario (Baby füttern, Rose gießen) auch die Bestimmerei: Dies und das ist gut für Dich, ich entscheide das. Ich folge nicht nur dem Offensichtlichen (wickeln - sonst Entzündung, gießen - sonst vertrocknen). Ich bin legitimiert und in der Pflicht des Guten, durchzuführen, was der Verantwortung entspricht. Der Verantwortung, die ich erkenne und die mich zu Dies und Das führt.

Aber. Ich - Hubertus - erkenne ja auch zig Dinge, die ich tun will mit Dir und die ich richtig finde. Nur greifen sie nicht über das hinaus, was "angemessen" ist. Will sagen: Ich nehme nicht für mich in Anspruch, die Verantwortung für Dich zu übernehmen. Verantwortung für Dich übernehmen: Das hat in meinen Ohren einen entmündigenden Klang. Überhebliches. Macht eben. Aus der patriarchalischen Tradition.

"Du kannst Dich um das kümmern, was sich Dir anvertraut hat" - Wie wäre es denn damit, Herr Fuchs? Wenn sich unsere Herzen zuneigen: klar tue ich etwas dafür, dass Du Dich wohl fühlst und bleibst. Aber ob Du Dich wohlfühlst und bleibst, ist nicht meine Verantwortung, sondern Deine. Würde ich mich verantwortlich fühlen, nähme ich Dir die Verantwortung weg. Es wäre ein Verantwortungsdiebstahl.

Der Fuchs stiftet zu Unterdrückung und Verantwortungsdiebstahl an. Er torpediert die Souveränität der Rose und die Freiheit des Prinzen. Gleiche Augenhöhe von Prinz und Rose sind nicht angesagt. Kümmerer oben, Gekümmerte unten. Das stört mich. Ich weiß, dass das die Tradition unserer Kultur ist. Aber diese Tradition passt mir nicht.

 

Fortsetzung am 16.12.2024