"Du bist für das verantwortlich, was Du Dir vertraut gemacht hast." Es
geht im Buch "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry um die
Rose, und der Fuchs sagt dem Kleinen Prinzen diesen Satz. Den er sich
merken will.
Wenn ich mit etwas oder mit jemandem zu tun habe - entsteht daraus eine
Verantwortung? Der Satz aus dem Buch von Saint-Exupéry ist mir neulich
wieder begegnet. Ich kenne ihn, und ich erlebe dabei ein süßes Gift.
"Ja, stimmt" ist eine wohlige und süße Reaktion. Verantwortlich für
jemanden sein fühlt sich gut an - für den Verantwortlichen, den Prinzen.
Er kann ein guter Kümmerer sein. Und auch für die
verantwortungsbedachte Rose fühlt es sich gut an, sie kann sich geborgen
fühlen. Beide sind ein gutes Paar, sie passen zueinander: Er sorgt
sich, sie fühlt sich bedacht.
Aber. Für mich hat das ganze Szenario keinen guten Grund. Da schwingt
etwas mit, das für mich einfach nicht geht. Es ist verdeckt, tritt nicht
deutlich hervor, dieses Ungute. Die Süßigkeit dieses Statements und die
Welt, in die dieser Satz einführt, sind ungut. Wohlig, aber ungut,
süßes Gift eben.
Der Satz hat Lähmendes. Er macht unfrei, enthält Fesseln. Die zu merken
schwer fällt, die abzulegen erst recht schwer fällt. Der Satz kommt mit
einer riesigen selbstgewissen Macht des Richtigen daher, mit einer
Großmoral. Es fallen mir sofort Babys ein - da geht mir bei diesem Satz
das Herz auf: Ja, ich habe es mir vertraut gemacht und bin für das Baby
verantwortlich. Das stimmt doch - wo ist das Aber?
Die ganze geistige Welt unserer Kultur und Tradition stehen hinter
diesem Satz. Ja - und genau das ist das Problem. Die Kultur, die diesen
Satz hervorbringt und auf die dieser Satz gebaut ist, ist von einem
Klang der Macht erfüllt. Von jemandem, der bestimmt, wo es lang geht.
Der das nicht nur für sich bestimmt, sondern der das auch für andere
bestimmt. Wie gehabt: Mensch über Natur, Mann über Frau, Weiß über
Schwarz, Erwachsener über Kind. Hier dann: Prinz über Rose,
"Ich bin für Dich verantwortlich" (weil ich Dich mir vertraut gemacht
habe) setzt mich über Dich. Es ist das Stückchen mehr als das "Ich
kümmere mich um Dich, ich sorge für Dich" und noch viel mehr als das
"Ich liebe Dich". Verantwortlichsein gibt mir Legitimation. Neben dem
ganzen Pflichtszenario (Baby füttern, Rose gießen) auch die Bestimmerei:
Dies und das ist gut für Dich, ich entscheide das. Ich folge nicht nur
dem Offensichtlichen (wickeln - sonst Entzündung, gießen - sonst
vertrocknen). Ich bin legitimiert und in der Pflicht des Guten,
durchzuführen, was der Verantwortung entspricht. Der Verantwortung, die
ich erkenne und die mich zu Dies und Das führt.
Aber. Ich - Hubertus - erkenne ja auch zig Dinge, die ich tun will mit
Dir und die ich richtig finde. Nur greifen sie nicht über das hinaus,
was "angemessen" ist. Will sagen: Ich nehme nicht für mich in Anspruch,
die Verantwortung für Dich zu übernehmen. Verantwortung für Dich
übernehmen: Das hat in meinen Ohren einen entmündigenden Klang.
Überhebliches. Macht eben. Aus der patriarchalischen Tradition.
"Du kannst Dich um das kümmern, was sich Dir anvertraut hat" - Wie wäre
es denn damit, Herr Fuchs? Wenn sich unsere Herzen zuneigen: klar tue
ich etwas dafür, dass Du Dich wohl fühlst und bleibst. Aber ob Du Dich
wohlfühlst und bleibst, ist nicht meine Verantwortung, sondern Deine. Würde ich mich verantwortlich fühlen, nähme ich Dir die Verantwortung weg. Es wäre ein Verantwortungsdiebstahl.
Der Fuchs stiftet zu Unterdrückung und Verantwortungsdiebstahl an. Er
torpediert die Souveränität der Rose und die Freiheit des Prinzen.
Gleiche Augenhöhe von Prinz und Rose sind nicht angesagt. Kümmerer oben,
Gekümmerte unten. Das stört mich. Ich weiß, dass das die Tradition
unserer Kultur ist. Aber diese Tradition passt mir nicht.
Fortsetzung am 16.12.2024